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Vom Flurgang bei Ueli und Robert Giger zum fehlenden «P» bei «Flugmaschinenfabrik»

Quöllfrisch unterwegs in Strada (Ilanz/Glion) GR

Beim Flurgang auf dem Hof von Ueli und Robert Giger in Strada (Ilanz/Glion) gehts nur im Vergleich mit andern Getreidesorten und bezüglich Fruchtfolge auch um Braugerste. Aber es lohnt sich alleweil, dabei zu sein, wenn die Getreideproduzenten ihre Erfahrungen austauschen.

Alles warnt vor der nächsten, inzwischen aktuellen Hitzewelle: Hitzewelle: Bund ruft Gefahrenstufe 4 für Teile des Tessins aus +++ Kantone Thurgau und Jura schränken Wassernutzung ein. Deutschland, Frankreich und Grossbritannien erwarten am Dienstag Rekordtemperaturen. In Italien, Südfrankreich, Südspanien, Kroatien und Griechenland wüten Waldbrände. (NZZ, 19.7.22) Der Blick führt einen «Hitzeticker», während ich denke, wir ticken doch nicht mehr ganz richtig.

Ohne Worte, aber schön sind nur die roten Tomaten und die blauen Wegwarten im Vordergrund – und natürlich die Berge hinter dem architektonischen Unding.

Aber natürlich: Teilweise wird die Bewässerung auch bei uns im selbsternannten Wasserschloss Europas problematisch. Zudem können die Hitze und die geringen Wassermengen beispielsweise für die Fische ein tödliches Problem werden. Der Fischereiverband erwartet ein Massenfischsterben: Forellen und Äschen seien ab 20 Grad Wassertemperatur unter Stress, da mit zunehmender Wärme der Sauerstoffgehalt des Wassers sinke. 25 Grad wäre ihr Todesurteil. Von der Aare wird eine Rekordtemperatur seit Messbeginn von 23,84 Grad (20. Juli 22) vermeldet. Da kann ich wohl schon aus Pietätsgründen die seit Jahren abgemachte Fischtour mit Simon Enzler auch dieses Jahr vergessen.

Und die Alpengletscher schmelzen allen Prognosemodelle davon. Ich sags ja: In allen Rechnungsmodellen fehlt die grosse Unbekannte (dazu s. auch: En huerechoge steile, extrem schöne Sauchrache: Wer die 26 Whiskys samt Silbergürtelschnalle finisht, verdient Respekt, Hegozack!). Matthias Huss, einer der führenden Schweizer Gletscherforscher,  twittert laut Spiegel am 17. Juli 2022: «Die heute am Griesgletscher vorgenommenen Messungen zeigen, dass wir sogar im Vergleich zum bisherigen Rekord von 2003 mit der Schmelze einen Monat voraus sind. Und keine Besserung in Sicht.» Gegenüber Reuters sagte Huss nun: « Ich habe nicht erwartet, so früh in diesem Jahrhundert ein so extremes Jahr zu erleben». 

Im Dorf Strada gehts gut angeschrieben scharf nach links.

Obwohl der Süden zu uns kommt, fliegen wieder Menschenmassen CO2-kompensiert und mit grünem Gewissen in den Süden, wo es noch heisser ist. Nur schon die Vorstellung schreit nach einem kühlen Quöllfrisch im Schatten eines – nein, eben nicht Sonnenschirmes oder Züri-Bonsais, sondern – vom Wind durchstrichenen, uralten riesigen Baumes. Sogar auf den Campingplätzen braucht es trotz Energie- und Klimakrise immer stärkere Stromleitungen, damit die fahrenden Luxusfreiluftschlösser mit Gefrierern, Klimaanlagen und Geschirrspülern ihre seltsame Naturidee ausleben können. Dass die produzierte Kälte auf der Kehrseite Wärme produziert, lockt dabei keine Sau (ui, darf man das noch schreiben? Ist mir rausgerutscht, sollte jemand was zu mosern haben) aus der Komfortzone.

Immer wieder fallen mir die Verdrahtungen des Elektrizitätsnetzes ins Auge, ohne das kein Weltweitnetz läuft – und viele andere Sachen auch nicht.

Fette Schlagzeilen hauen dir seit Wochen quasi Gluthitze und Sonnenstich fadengrad in die Birne rein, als würde mans nicht am eignen Leib erfahren. Bald nach den Rekordhitzewellen werdens wieder die Rekordflutwellen sein, die uns die Köpfe mit rabenschwarzen Schlaglettern füllen. Denn Extrem ist das neue Normal.

In letzter Zeit scheint jede Art Wetter zum Unwetter mutiert zu sein, egal ob Sali-sali-sali, d Sunne schint für alli. Die Welt ersäuft grad in Schweiss, Dürren und – alles andere als CO2-neutralen – Waldbränden. Von der weltweit Hunger- und Energiekrisen auslösenden Russischen Sonderoperation namens Krieg in der Ukraine ganz zu schweigen. Und schon ist ja wieder – nebst Affenpocken – von der nächsten und übernächsten Coronawelle die Rede. Vielleicht sollten wir beim Wetter – ganz wie beim Unkraut, das ja jetzt Beikraut heisst – nicht mehr vom Un- sondern vom Beiwetter reden. Dann können uns die häufiger werdenden Hitze- oder was auch immer für -wellen vielleicht nicht mehr so viel anhaben. Drü Tag Räge, drü Tag Schnee, scho tuets nüme weh! Toing! Nullgradgrenze klettert rekordhoch auf mehr als doppelte Säntishöhe: 5184 Meter!

Am Ende des besprayten Unterführungstunnels leuchten zwei Fahrräder: Ueli Giger und Sohn Roland sind schon da. Ebenso Martin Roth (Plantahof) und Chloé Beerli (Gran Alpin).

Nun spricht in der Zeitung (TA, 25.8.22) – endlich! – auch ein Fachmann, der im stadtzürcherischen Fachgremium nichts ausrichten konnte, aus, was ich schon länger bemerke und das mich in der schlecht beschatteten, zugepflasterten, verdichteten, überhitzten Stadt bedenklich stimmt: «Seit 35 Jahren weiss Zürich, dass die Hitze ein Problem wird». Er erklärt auch, warum in Zwinglitown so viele jämmerliche Bäumchen rumserbeln: Heutige Zürcher Strassenbäume erreichen ein Durchschnittsalter von 30 Jahren. Oft gehen sie früh ein, weil die Baumscheiben klein sind und die Wurzeln dadurch zu wenig wachsen können. Bäume müssen gross werden, um dem trockenen und heissen Stadtklima trotzen zu können. Dafür brauchen sie viel mehr Wurzelraum, idealerweise 25 Quadratmeter durchlässige Oberfläche rund um jeden Baum. Und es sollten auch keine Leitungen darunter durchführen; deren Sanierung führt immer wieder zum Absterben von Bäumen. Von so viel freiem Wurzelraum ist man in Zürich weit entfernt. Darum gibt es so viele Bonsaibäume, welche die Strassen nicht richtig beschatten. – Meine Rede. Rufe in den baum- und echolosen Wald.

Ein Artikel auf infosperber.ch entlarvt denselben Fachmann als denjenigen, der 1982 der Bevölkerung in einem offenen Brief mit dem Titel Das praktisch baumlose Stadtbild des 16. Jahrhunderts soll nach Möglichkeit wiederhergestellt werden erklärte, warum die Stadt Bäume fällen liess und bezichtigt ihn der Geschichtsklitterung: Tatsächlich wusste man damals noch nichts vom künftigen Hitzestau oder wollte ihn nicht wahrhaben, und das gilt bis heute. Zumindest im jüngsten, zeitgenössisch prominentesten Paradefall der Stadt Zürich hatte man die Gefahr eines künftigen Hitzestaus verdrängt. Die Rede ist vom Prunkbau eines britischen Nostalgie-Architekten, der am Heimplatz, wo es weder viele Bäume noch Schatten gibt, eine riesige Bettflasche hingestellt hat, die das Environment aufheizt mit unbegrünten Fassaden, welche Temperaturen bis 60 Grad Celsius erreichen können (begrünt maximal 30 Grad). Die Rede ist vom Londoner David Chipperfield, geprägt vom dortigen «lovely weather for ducks», der offensichtlich nicht auf der Höhe der Zeit war und auch nicht über seine Nasenspitze hinaussah. 

Die Elektrizitätsinfrastruktur noch einmal von näher.

Zu den mitleiderregenden, aber teuren Zürcher Bonsai-Kulturen in ihren vergoldeten, umteerten Käfigen und zur Shifting Baseline, die unsere Sicht der Dinge verzerrt und vergangene Zeiten in einem spiegelglatten See des Unwissens versenkt, ein Zitat aus dem Bestseller Die Welt ohne uns des Wissenschaftsjournalisten Alan Weisman: Der Gedanke, dass ganz Europa einmal wie dieser Urwald [Puszcza Bialowieska, 1500 km2 umfassendes Gebiet zu beiden Seiten der polnisch-weissrussischen Grenze; letzter intakter Flachlandurwald Europas] gewesen sein soll, mutet merkwürdig an. Verfolgen wir ihn weiter, wird uns klar, dass wir uns schon sehr weit von unseren eigentlichen Ursprüngen entfernt haben. Der Anblick von Holunderbäumen mit Stämmen von mehr als zwei Metern Durchmesser oder der höchsten Bäume, die es hier gibt – riesige zerzauste Nordlandfichten –, wirkt auf uns, die wir an die vergleichsweise winzigen, forstwirtschaftlich genutzten Wälder der nördlichen Hemisphäre gewöhnt sind, fast ebenso exotisch, als befänden wir uns in Amazonien oder der Antarktis.

Peer Schilperoords Schrift: Gerste

Obwohl es heute höchstens am Rande um Braugerste gehen wird, lese ich unterwegs in Peer Schilperoords Heft der Reihe Kulturpflanzen in der Schweiz (s. berggetreide.ch) über die Gerste, die zu den ältesten und weit verbreitetsten Getreidearten der Schweiz gehörte: Ursprünglich war Gerste sogar die wichtigste Getreideart in der Schweiz; Gerstenbrei und Gerstensuppe gehörten in vielen Gegenden zu den Grundnahrungsmitteln. Gerste war quasi der Reis des Westens. Sie konnte im Gegensatz zu Einkorn und Emmer auch noch in den höchsten Lagen angebaut werden. Später musste die Gerste ihre Bedeutung als Hauptnahrungsmittel mit Weizen, Dinkel und Roggen teilen. Noch um 1800 war die 6-zeilige Nacktgerste beliebt. Die Bauern schätzten diese Gerste sehr. Sie haben ihr «[…] den Namen Himmels-Gerste, himmlische Gerste, gegeben; als eine Pflanze die vom Himmel herab zum Nutzen der sterblichen Menschen gesendet worden.» […]


Albrecht von Haller (1775), Abbildungen von 6-zeiligen Gersten (Hordeum vulgare subsp. vulgare). Fig. 22: eine extrem
dichtährige Spelzgerste, var. densum. Haller nannte diese Form Rollgerste, Stockgerste (vgl. Abb. 14 und 15); Fig. 21: eine Nacktgerste,
var. coeleste, Himmelsgerste, Nackte Gerste, Orge de Jerusalem, Orge de Siberie (vgl. Abb. 16); Fig. 18: eine mitteldichte Spelzgerste,
die im unteren Bereich 6 und im oberen Bereich 4-reihig ist, var. parallelum, Wintergerste, Kerngerste, (vgl. Abb. 5)
Foto: Universitätsbibliothek Basel, Sign. Bot 3008:2.

Die Verwendung der Gerste war sehr vielfältig. Sie reichte von Brot, über Brei oder Mus, Bier, Mehl aus geröstetem Gerste, bis hin zu Abkochungen für medizinische Zwecke. Albrecht von Haller (1782): Aus der Gerste wird auch insonderheit das Bier verfertigt, man schüttet sie auf Haufen, und lasst sie fast keimen […] hernach spreitet man den Haufen wieder auseinander, und röstet sie […] und kochet sie endlich mit Wasser und Hopfen. Diese Gattung von Getränke erhitztet etwas weniger als der Wein macht fett, und gibt wegen dem Mehl mit dem es vermischt ist, eine gute Nahrung. […]. Als Braugerste wurde 2-zeilige Gerste verwendet. Auch heute bevorzugt man in Europa die 2-zeilige Form, mit Ausnahme von Frankreich, wo es auch 6-zeilige Braugersten gibt. In Nord-Amerika gibt es sowohl 2-zeilige als auch 6-zeilige Braugersten. Wichtige Merkmale für Braugerste sind gleichmässige Körnung, gleichmässiges Keimen, feine Spelzen und ein tiefer Eiweissgehalt.

Macht euch die Erde nicht untertan, sondern zur Verbündeten

Winterweizen von Robert Giger (Stand: 13.7.22); Vater Ueli, PKZ – Pensioniert Keine Zeit, kommt jeden Tag hier vorbei.

Wir treffen uns direkt auf dem Feld mit Winterweizen der Sorte Baretta in Strada. Da dieses nicht allzu weit vom Bahnhof Ilanz/Glion liegt, also zu Fuss gut erreichbar ist, liess ich Quölli am Haken im Veloraum und nahm den Zug. Zack! Gelungen. Punktgenau lande ich nach dem riesigen Aldi-Bau&Hobby-Tankstellen-Komplex im Dörfchen Strada, wo mich ein laminierter Flurgang-Pfeil nach links führt. Da nach der Unterführung bei den beiden Velos muss es sein. Genauso ist es. Bingo! Vor Ort sehe ich dann, dass ich wohl einfach und direkter der Bahnlinie entlang hätte gehen können.

Kurze Runde vor dem offiziellen Flurgang: Ueli und Robert Giger, Martin Roth (v.links n. rechts).

Martin Roth vom Plantahof und Chloé Berli von Gran Alpin, die diesen Flurgang organisiert haben, sind schon vor Ort. Und natürlich die beiden Velo- und Feldherren Ueli und Robert Giger, Vater und Sohn. Beide tragen grüne Baseballcaps vom Verein Bündner Ackerbauern mit der seitlichen Aufschrift: Ackerpuur mit Erntestolz. Auf Martin Roths Mütze prangt die Bio Suisse-Knospe. Wohlbehutet, könnte man sagen.

Ackerpuur mit Erntestolz auf der Baseballkappe: Flurgang-Gastgeber Robert Giger.

Es dauert noch eine Weile bis die ersten Getreideproduzenten eintrudeln und wir spazieren schon mal – an der dazwischenliegenden Kunstwiese 323 vorbei – rüber zum Sommerweizen, der mit üppigem Meldenwuchs zusammen eine Art ungewollter Mischkultur bildet. Mehr dazu im Kapitel Beikräuter. Der heutige Flurgang dreht sich um Themen wie: Vergleich Sommer- und Winterweizen // Beikrautregulierung im Getreide // Dreschzeitpunkt // Anlage Kunstwiese 323 // Mais (beim Betrieb) // Gründüngungen.

Drei Fachmänner im Weizen: Ueli Giger, Martin Roth, Robert Giger (v.l.n.r.).

Die Bestrebungen von Gran Alpin (und der Brauerei Locher), den biologischen Berggetreideanbau zu fördern, sind für mich hoffnungsvolle Anzeichen, dass zumindest hier lokal versucht wird, den desaströsen Entwicklungen der globalisierten Intensiv-Monokultur-Pestizidcocktail-Intensiv-Übernutzung mit Experimentierfreude, Einfallsreichtum, Herzblut und rücksichtsvoller Landwirtschaft zu begegnen. Die Zeichen der Zeit verheissen nicht mehr, sich die Erde untertan zu machen, sondern: Du sollst dich mit der Natur verbünden. Nicht nur hier in Graubünden.

Inzwischen sind einige Produzenten eingetrudelt.

Wir stehen eigentlich im Ursee

Zwei Generationen: Robert (Mitte) und Ueli Giger (rechts).

Kultur und Kulturmassnahmen werden von Robert Giger vorgestellt, der die Führung des Hofes übernommen hat. Er berichtet, dass die rund 1,5 Hektaren dreimal gestriegelt wurden (hier gehts zum Quöllfrisch untwerwegs-Beitrag: Feldbegehung: Blindstriegeln bei Traumwetter), um das Wettrennen gegen das Beikraut zu gewinnen. Davor stand hier Mais. Gesät wurden die 2,2 kg Samen eher spät Ende Oktober 2021.

Es geht um den Erfahrungsaustausch im biologischen Berggetreide-Anbau.

Im Winter habe man nichts gesehen, ergänzt Ueli Giger. Sobald der Schnee weg war, trieben die Pflänzchen hoch. Das wisse er, weil er jeden Tag auf seinem Morgenmarsch hier vorbeikomme; PKZ – Pensioniert Keine Zeit. Martin Roth fügt hinzu, das «Auswintern» (Schäden an Kulturpflanzenbeständen durch Kälte, Fäulnis, Luft- und Wassermangel während der Winterzeit), also beispielsweise Schneeschimmel, sei beim Winterweizen selten ein Problem. Hingegen bei Gerste, die schon Ende September ausgesät wird und im Herbst schon «bestockt», also Seitentriebe ausbildet, bestehe die Gefahr schon eher.

Unter Wasser: Der See sei bis zum Felsen hoch gegangen, der früher hier gewesen sei.

Ueli Giger erläutert die Geschichte des Feldes. Die gesamte Fläche sei mit Kies aus dem Rhein aufgeschüttet worden. Manchmal finde man noch einen Schuh aus Zeiten vor der Aufschüttung. Noch viel, viel früher sei ja hier alles einmal ein See gewesen, wo wir stehen, bis hoch zu dem Felsen dort. Zeigt auf einen ziemlich hoch liegenden Felsen. Aber genau könne er das nicht sagen, er sei nicht dabei gewesen. Die unzähligen Steine seien ein Problem, da sie immer wieder hochgedrückt werden. Auch mit Steinsammler habe er es schon probiert, das habe aber nicht viel gebracht. Wenn man hier nicht pflüge, habe man die Steine immer wieder oben drauf. Er sei ein steinreicher Bauer, zündelt Martin Roth.

Martin Roth sammelt Beikräuter…

Weiter fasst letzterer den allgemeinen Eindruck zusammen: Der Acker sieht gut aus, hat wenig Unkrautbewuchs. Viel Grün untendrin, das sich glücklicherweise nicht gross entwickeln konnte. Zum Beispiel Breitwegerich, ein klassischer Verdichtungszeiger. Aber eigentlich, obwohl etwas lose stehend, sei das Feld unkrautmässig gut dran. «Wenn das Wetter schön bleibt, ist der Weizen bald reif. Aber wenn es regnen würde, könnte der Unterbewuchs plötzlich noch zur Plage auswachsen.»

Auch problemlose Beikräuter können Probleme machen

Der Mann vom Plantahof hat inzwischen, während wir uns dem Acker entlang bewegen, diverse Beikräuter zu einem – in der Hitze – schon lahmen Sträusschen zusammengestellt. Er präsentiert Kraut um Kraut und reicht es weiter. Insgesamt zeigt sich das Beikraut hier unproblematisch, zumal die aktuelle Hitze wohl nun relativ schnell den Reifungsprozess vollendet. Hätte man aber noch Dünger zugegeben, was der Weizen durchaus hätte brauchen können, hätte das wohl auch dem Unterbewuchs geholfen. So habe auch das Düngen je nach Situation ein Dafür und Dawider.

…stellt sie einzeln vor und gibt sie weiter.

Eines heisst Franzosenkraut. Natürlich will ich sofort den Grund für den Namen wissen, muss es guguselen, weil das niemand weiss: Der offizielle deutsche Name dieses typischen Sommerbeikrautes ist Kleinblütiges oder Behaartes Knopfkraut. Eher unscheinbar, aber sehr vermehrungsfreudig sei es und könne recht konkurrenzkräftig sein. Hier ist es aber hier kein Problem. Ursprünglich stammt es aus Südamerika, ist inzwischen jedoch weltweit anzutreffen. Jetzt kommts: Weil das Knopfkraut sich bei uns zu Zeiten der Napoleonischen Kriege ausbreitete, nannte man es Franzosenkraut. So einfach ist das. Zudem sei das essbare Kraut mancherort durchaus erwünscht: Für die Spitzengastronomie werde es auch speziell angebaut und für 30 Franken pro Kilo verkauft. Auch Ruccola habe als Un- oder Beikraut gegolten, bevor er wieder auf unsere Teller kam.

Kleinblütiges oder Behaartes Knopfkraut, bekannt als Franzosenkraut.

Und die – wie wir noch sehen werden – beim Sommerweizen so dominante, samenreiche Melde sei verwandt mit Quinoa und wurde hierzulande wie Spinat gegessen. Letzterer hat die Melde verdrängt. Wikipedia: Die Gartenmelde (Atriplex hortensis), auch Garten-Melde, Spanischer Salat, Spanischer Spinat und Orache genannt, ist eine Pflanzenart in der Familie der Fuchsschwanzgewächse (Amaranthaceae). Sie ist eine der ältesten Kulturpflanzen und wird oder wurde als Gemüse, Salat-, Heil-, Färber- sowie Zierpflanze verwendet. Als Heilkraut wurde sie bei Halsschmerzen, Gelbsucht und Gicht eingesetzt. Vielleicht hat sie bald ein Revival, diese alte Kulturpflanze, die den Getreidebauern das Leben schwer macht.

Beim Winterweizen kein Problem: einzelne Melden sind gut zu verkraften.

Weiter finden sich problemlose Beikräuter wie Ehrenpreis, Rote Taubnessel, Vogelmiere, Ackerstiefmütterchen und Kamille im Feld. Sie können fürs Blütenangebot wertvoll sein, solange sie nicht überhand nehmen. Grundsätzlich seien Beikräuter auch Indikatoren. Wie der obgenannte Breitwegerich Verdichtung anzeigt, weist die Melde auf Stickstoff hin, während Hohlzahn und Ackerstiefmütterchen auf Kalkhaltigkeit schliessen lassen. Knötericharten wie der Hohlzahn (auch Glure genannt) seien hier jetzt kein Problem, aber im Münstertal habe er schon bestandesbildendes Auftreten gesehen, erzählt Martin Roth. Der Samenvorrat des Hohlzahns könne einen – ganz ähnlich wie bei der Blacke – die nächsten vierzig Jahre beschäftigen. Darum helfe es, den Rhytmus zwischen Frühlings- und Herbstkeimern durch den wechselnden Anbau von Winter- und Sommergetreide zu brechen.

Beikräuter werden inspiziert, weitergegeben…

Ueli Giger führt aus, dass durch den Entscheid, mehr Acker zu bewirtschaften und auf Mutterkuhhaltung umzustellen, man nun nicht nur weniger Kühe, sondern auch weniger eigenen Dünger habe. Darum müsse man damit sparsam haushalten. Zwar dürfe man zusätzlich noch 28 Tonnen Hühnermist ausbringen, das reiche aber bei weitem nicht. So habe man mehr für den Mais, etwas für die Kunstwiese – die übrigens als sehr gelungen, weil gut deckend eingestuft wird – und die Weizenfelder eingesetzt.

…und die Erfahrungen ausgetauscht. Oder Fragen gestellt und wer etwas weiss, teilt es mit.

Ein weiteres Diskussionsthema ist die Gründüngung, also der gezielte Anbau von Pflanzen zur Verbesserung der Bodenqualität, die nicht geerntet, sondern gemulcht oder untergepflügt werden. Die Details überlassen wir den Fachleuten und halten uns an die klassische Verfahrensweise beim Wintergetreide, die man hier aus Mangel an hauseigenem Dünger nicht anwenden konnte: Eine Gabe zum Start, eine zum Anfang der Bestockung; meistens werde es gedankt mit gutem Wuchs. Im wahrsten Sinn des Wortes: zukunftsträchtiger Getreideanbau ist ein offenes Feld. Daraus lernen wir: Ein Bio-Berggetreidebauer muss flexibel, tüftlerisch und wachsam sein, um seine individuellen, orts-, situations- und wetterspezifischen Lösungen und Entscheidungen für seine Felder zu finden. – Und für den mässigen Düngereinsatz sei das Feld doch recht gut gewachsen. Einig ist man sich bei der Ernteerwartung: 3-3,5 Tonnen pro Hektare.

Kunstwiese 323 & Sommerweizen

Auch im Weitergehen herrscht ein reger Austausch unter den Anwesenden. Das ist wohl die wichtigste Funktion jeden Flurgangs: der Erfahrungsaustausch im Feld. Viele Unwägbarkeiten charakterisieren den Getreideanbau. Macht man bei dem und dem Wetter einen Arbeitsgang und kommt dann genau die ungewollte Wetterabfolge, kann etwas in die Binsen gehen, das bei einem andern Ablauf gut ausgehen würde. Manchmal muss man wetterbedingt die schlechte Wahl treffen, weil sie die einzige ist. Dann heisst es also, das Beste aus der Situation rausholen. Aber dieses Jahr ist generell ein gutes Getreidejahr, heisst es. Immer wieder werden die Eigenschaften der verschiedenen Getreide verglichen – auch mit der Braugerste. Eigentlich nicht erstaunlich: Auch die Landwirtschaft lebt von Diversität in der angeschlagenen Welt des Anthropozäns.

Auch die Kunstwiese 323 gehört zur Fruchtfolge.

Nach dem Halt an der Kunstwiese 323 (die Zahl steht für die Zusammensetzung der Samenmischung), bei dem auch die Fruchtfolgemöglichkeiten diskutiert werden, stehen wir beim Sommerweizen. Die Sorte Diavel ist ein klassischer Wechselweizen, bringt als Sommer- und Winterweizen gute Erträge. Der Bestand sei eigentlich gut, meint Martin Roth. Leider hat die Melde ziemlich Oberhand gewonnen. Auch hier könne er nur mutmassen, wieso. Angesichts der aktuellen Weltlage würde er das Feld aber auf jeden Fall abernten. Trotz Ernteerschwernis: Viele Melden bringen bei der Ernte bis zu 20% Feuchtigkeit ins Getreide, das dann weiterer Trocknung bedarf und sofort abgeliefert werden müsse. Ansonsten sei sie kein Problem, da die kleinen Samen beim Reinigen von selbst rausfallen.

Schnippchen der Natur: Eigentlich guter Bestand an Sommerweizen, aber viel Melde – der Sommerweizen verschwindet im Grün.

Bei geringerem Meldenbestand lohne es sich auch, diesem mit Jäten zu begegnen und die Versamung zu verhindern. Im hiesigen Fall sei nach der Ernte eine Stoppelbehandlung angebracht. Dabei bringt man alle Samen nach oberflächlicher Bodendurchmischung vor dem Pflügen zum Keimen, um sie zu reduzieren. Das hier nicht vorhandene Problem des wurzelstarken Bärenklaus sei nach drei Jahren Pflügen gelöst, sind sich nach kurzem Austausch alle einig.

Das echte Leben ist kein Hochglanzprospekt: Das Risiko des Bio-Berggetreidebaus, dass die Melde den Wettlauf gewinnt.

«Wie habt ihrs hier mit den Krähen?»

Nun wechseln wir mit den vorhandenen Autos zum Hof. Dort wird noch der Mais und der daneben liegende, kleine Kartoffelacker kritisch begutachtet, wo doch einige Kartoffelkäferfamilien sich gütlich tun. Sie seien aber noch zu stoppen, bevor sie durch ihren Krautfrass die Entwicklung der Knollen beeinträchtigen. Wenn ich richtig verstanden habe, erweist sich die Kartoffel in der Fruchtfolge als gute Vorfrucht für Getreide.

Hauptsächlich für den Eigenbedarf: Kartoffeln neben dem Maisfeld.

Beim Mais stellt jemand die Frage nach den Vögeln, die mich immer interessieren: «Wie hast dus hier mit den Krähen?» Dem Fragesteller sind sie zur Zeit grad eine grosse Plage. Die Gigers antworten, sie hätten in den vergangenen Jahren auch schon Probleme gehabt, aber nun das Glück, ein Pärchen zu haben. Das macht keine Probleme und hält die Krähenschwärme fern, die die Saat wegpicken. Die Krähen hätten ihn quasi akzeptiert in ihrem Revier.

Austausch individueller Bewirtschaftungsrezepte.

Früher habe man zur Abschreckung jeweils ein Tier geschossen und gut sichtbar aufgehängt. Es wird nicht ganz klar, ob das wirklich nützt; es gibt aber einige in der Gruppe, die auf diese Methode setzen. Aber eben: Krähen sind schlau. Ein wissenschaftlicher Krähenbeobachter, dessen Buch ich einst gelesen habe, war sich schon nach kurzer Zeit nicht mehr sicher, wer hier wen beobachtet. Und genau das stellt sich auch hier heraus: Krähen lernen schnell. Stellt man zur Abschreckung ein Auto ins Feld, merken sie rasch, dass niemand da ist. Vogelscheuchen werden noch rascher entlarvt. Wiederholt knallende Schreckschussanlagen, wie sie in Weinbergen eingesetzt würden, seien teuer. Tja, ob gegen die bandenmässig einfallenden Krähen ein Kraut gewachsen ist, muss sich noch weisen.

So, nun haben wir uns ein kühles Gran Alpin verdient. Prost! Und danach werden Martin Roth, Chloé Berli und ich grad noch bei den Gigers zum Mittagessen eingeladen. Was für ein Glück! Herzlichen Dank für Salat, Lasagne und Kaffee! Es hat gemundet. Nach dem Mittagessen geht es mit dem inoffiziellen Teil weiter.

Einfach, gemütlich und gut: Unverhofft bekommen wir Zmittag bei der Familie Giger.

Patent Nr. 46798: Pflug. Gebr. Gyger, Schnaus

Ein Stichwort bringt Ueli Giger auf den weltberühmten Schnauser Wendepflug, den sein Grossvater Arnold nach Amerikanischem Vorbild weiterentwickelte und patentieren liess. Davon habe ich noch nie gehört. Auch nicht von einem Ort mit dem seltsamen Namen Schnaus. Nun denn, Ueli Giger führt dort ein gerade in Zeiten der stromabhängigen, also blackout-gefährdeten Digitalisierung ein kleines Museum mit historischer Werkstätte, deren Maschinen von einem Mühlrad im Bach über Riemen und Bänder angetrieben werden; zudem hat er einen Waldlehrpfad eingerichtet und ein hauseigenes Speicherseelein gebaut. Hier gehts zur Website.

Natürlich lassen wir uns das nicht entgehen und tauchen nach kurzer Autofahrt mit der quicklebendigen Erzählung des Museumsdirektors Ueli Giger in eine unerwartete Geschichte aus dem Vor-Elektrizitäts-Zeitalter ein, für die wir uns herzlich bedanken. Und weil man das alles – vor allem auch die leidenschaftlichen Schilderungen des Museumsdirektors – mit eigenen Augen und Ohren selbst gesehen, gehört und erlebt haben muss, lasse ich diesen Beitrag mit Bildern ohne Worte ausklingen. Wir verraten auch nicht, ob und wie der Schnauser Bergpflug ins Königreich Buthan gelangte oder nach Bolivien.

Auflösung des Buchstabenrätsels im Titel

Um das Rätsel im Titel aufzulösen beachte man das Bild mit der Werbung für das Trunser Konkurrenzprodukt, bei dem aus dem erdbezogenen Pflugfabrikanten durch einen nicht ganz folgenlosen Schreibfehler ein himmelsstürmender Flugfabrikant wird – P vergessen. Dumm gelaufen.

Hier gehts zur Website des bewegten Museums in Mulin-Schnaus.

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