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Ticino, Amore mio

Ennet dem Gotthard angekommen, besuchen Marie-Louise und ich für ein nächstes Portrait einen Aussendienstmitarbeiter, einen Depositär und eine Gastronomin im Tessin. Es ist ein kurven- und ereignisreicher Tag inmitten einer umwerfenden Landschaft, gefüllt mit herzlicher Offenheit und erstaunlichen Geschichten rund ums Bier.

Piazza Sant’Antonio Locarno, im Juli 2020: Ich sitze mit meiner Reisebegleitung unter einem weissen Sonnenschirm an einem weissen Tisch. Die Tessiner Sonne wärmt, auch im Schatten. Es sind Ferien, die Bedienung bringt uns unseren aperitivo. Ich habe lokalen Weisswein bestellt, meine Begleitung «una birra». Serviert wird ihm: Ein Appenzeller Bier, im Appenzeller-Bier-Glas! Es ist nicht das letzte Mal, dass uns in diesen Ferien im Südkanton unser Heimatbier serviert wird.

Piazza Sant’Antonio, Ende Mai 2023: Ich sitze am gleichen Ort unter dem gleichen weissen Sonnenschirm. Diesmal allerdings in Gesellschaft der Appenzeller-Bier-Menschen. Wie ist es möglich, dass uns auch im abgelegensten Grotto ein Appenzeller Bier serviert wird? Wieso findet das Appenzeller Bier im Tessin so viel Anklang? Den Antworten auf der Spur sind auch dieses Mal: Marie-Louise Werren vom Marketing-Team der Brauerei Locher und ich. Unter der Tessiner Sonne zu arbeiten, nachdem die vergangenen Wochen verregnet und kühl waren, ist eine wahre Freude. Sie hält den ganzen Tag an. Das liegt nicht zuletzt an den gesprächsfreudigen, freundlichen Menschen, die wir im Verlaufe unseres Besuches kennenlernen werden. Aber fangen wir von vorne an…

Ciao Marco!

Am Bahnhof Locarno empfängt uns Marco Fasnacht, Aussendienstmitarbeiter der Brauerei Locher im Tessin seit 2016. Die Begrüssung erfolgt – mit einem herzlichen Schmatzer auf unsere Wangen. Willkommen ennet dem Gotthard! Bienvenuti in Ticino!

Die Zugreise von Appenzell nach Locarno dauert einige Stunden, es ist Mittag, als wir ankommen. Daher führt uns Marco zuerst in ein kleines Ristorante in einem Hinterhof, selbstverständlich Kunde der Brauerei. Marco spricht ausgezeichnet Deutsch. Kombiniert mit meinen eingerosteten Italienischkenntnissen fällt die Verständigung leicht. Wir erwischen ihn in der Hochsaison: «Im Frühling und Sommer ist immer viel los.» Dass er sich Zeit für uns nimmt, ist für ihn «Ehrensache» und ausserdem betont er, dass er die Besuche an diesem Tag ebenfalls nutzen kann, für seine Beziehungspflege. Marco ist der einzige Aussendienstmitarbeiter im Tessin, unterstützt wird er von einem Techniker. Dieser ist zum Beispiel bei Hilfestellungen mit den Ausschankanlagen zur Stelle.

La famiglia

Marco ist, das merkt man während unserer Gespräche schnell, so etwas wie eine Identifikationsfigur der Getränkebranche Tessin und ein Glücksfall für die Brauerei. Seine Persönlichkeit war sicherlich mitentscheidend für den Erfolg von Appenzeller Bier im südlichen Kanton. Dank seiner langjährigen Erfahrung und seiner Verankerung in der Region hat er ein starkes Netzwerk. Die meisten Gastronominnen und Gastronomen kennt er seit mehreren Jahren. Zustande gekommen ist die Anstellung – wie so vieles im Locher-Universum – durch Zufall und «Bekannte von Bekannten». Gleich am Anfang des ersten Gesprächs habe sich der Inhaber Marco mit den Worten vorgestellt: «Ich bin Karl.» «Da wusste ich: Ich bin am richtigen Ort.» Hier sei er eine Person, habe einen Namen, während er bei seinen früheren Arbeitgebern «nur eine Nummer» war. Diese Familiarität habe sich über die Jahre gehalten. So kann es heute noch vorkommen, dass er am Vormittag einen Anruf von Karl Locher erhält, der gerade im Tessin unterwegs ist und fragt: «Ciao Marco, wohin gehst du zum Mittagessen? Ich komme mit!» Auch der Verkaufsleiter Ruedi Signer, der direkte Vorgesetzte von Marco, ist oft im Tessin und besucht mit Marco die Partnerbetriebe.

Appenzeller und anderes Bier

Marco erzählt während des Mittagessens viel über den Biermarkt generell und den regionalen im speziellen. Und mit regional meint Marco Locarno und Umgebung, die er kennt wie seine Westentasche. Auf unsere Frage, welches denn DAS lokale Bier sei, lacht er: «Hier gibt es zig verschiedene lokale Biere – alles Kleinstbrauereien, die meisten in Flaschen. Das macht diese Biere für die Gastronomie sehr teuer. Also, nicht nur für die Gastronomen, sondern entsprechend auch für die Endkundinnen und -kunden. Kleine Brauereien können sich meist die Anschaffungen für eine Produktion von Offenbier nicht leisten. Und wenn eine Flasche Bier in einer Bar, sagen wir, 8 Franken kostet, zeigt mir der Konsument den Vogel.» Auch ein Grund, weshalb man hier auf Appenzeller Bier setzt.

Nächstes Jahr wird Marco pensioniert. «Dann gehe ich zurück nach Italien und trinke nur noch Moretti!», grinst er spitzbübisch. Doch zunächst führt und fährt er uns durch seine Region. Die erste Station erreichen wir nach einem kurzen Fussmarsch durch Locarnos Altstadt.

Zischende Ferienerinnerungen

Wir nähern uns einer Häuserfassade mit hellgrauem Verputz, hellblauen Fensterläden und schweren, dunklen Holztüren. Töpfe mit mediterranen Pflanzen umranden die Terrasse, die gar keine ist, denn die Tische und Stühle stehen direkt auf der Gasse. Ferienstimmung pur. Der Name der Osteria steht gross und in schicken Lettern über der Eingangstüre. Rechts davon prangt auf einer dunkelblau gemalten Wand ein ebenso markanter, weisser Schriftzug, der sicherlich nicht nur bei uns Erinnerungen weckt an das zischende Geräusch, das der Bügelverschluss beim Öffnen macht. Die Produktion des traditionellen «Gasosa Ticinese Romerio» hat Romerio F.lli SA. mittlerweile ausgelagert. Das Getränkelager hinter dem blauen Tor mit dem weissen Schriftzug, am Rande der Altstadt von Locarno, beliefert nun Hotels, Restaurants, Detailhändler in der ganzen Region. Seit 1980 führt Emanuele Romerio den Betrieb. Seit «circa 20 Jahren» ist er Kunde der Brauerei Locher und somit ein wichtiger Depositär in der Region.

Emanuele zeigt uns den an diesem Mittwoch brummenden Betrieb – «wir müssen noch unsere Touren vom Pfingstmontag nachholen». Dennoch nimmt er sich Zeit und beantwortet uns sympathisch die Fragen. Auch Emanuele ist ein Glücksfall – für Appenzeller Bier und für uns. Emanueles Vater ist Tessiner, seine Mutter Baslerin: Auch er spricht fliessend Deutsch und kann die beiden Regionen gut einschätzen, da er an beiden Orten gewohnt hat. Er erzählt uns leidenschaftlich aus dem regionalen Nähkästchen.

Marie-Louise interviewt Marco und Emanuele
Marie-Louise, Marco und Emanuele

Zwei Männer, ein Bier

Im Tessin sei das «Säntis Kristall» der klare Favorit, bemerkt Emanuele. «Du merkst, dass das Tessin eine südliche Gegend ist, die Trinkkultur ist ganz anders als bei euch im Norden. Hier sind wir eher Weingeniesser. Leichtere, Spezialbiere haben es einfacher. Ausserdem schenken wir hier das Bier in kleineren Masseinheiten aus, in Drei-, Zwei- oder gar Ein-Deziliter-Gläsern. Halbliter-Gläser sind eine Seltenheit.»

Weiter erzählt Emanuele, dass der Umsatz im Tessin sehr eng mit dem Tourismus zusammenhänge. Das Ausmass der Schwankung ist dann doch etwas überraschend: «In drei Monaten machen wir 50 % des Jahresumsatzes!»

Sichtlich stolz zeigen uns Marco und Emanuele auf dem Smartphone die Bierkarte von Blick, auf der Locarno und Umgebung mit der Farbe von Quöllfrisch eingefärbt ist: «Die rote Fläche da unten rechts ist schon ein bisschen auf unserem Mist gewachsen.» Der Getränkehändler betont den guten Service, den die Brauerei Locher bietet. «Der Vertreter ist immer da», sagt er, «auf Marco ist ganz einfach Verlass». Das sei heute nicht mehr selbstverständlich, meint Emanuele. Die Verabschiedung ist herzlich, wie bei altbekannten Freunden. Wir verfolgen einen straffen Zeitplan und müssen weiter.

Von der Speisekammer zum Treffpunkt

Davor erfahren wir allerdings noch, dass ein Grotto ursprünglich ein kühler Ort zum Einlagern von verderblichen Lebensmitteln (Käse, Wein, Bier) war, sozusagen die Speisekammer des Dorfes. Zwei- bis dreimal pro Woche konnten die Eigentürmer ihre Lebensmittel abholen. Während dieser Öffnungszeiten trafen sich die Menschen aus dem Tal, es kam zu einem Austausch von Worten und von Waren. Daraus entstanden sind, sehr kurz zusammengefasst, die Grotti als Orte der Verpflegung und des Zusammenkommens.

Die Grotti liegen teilweise sehr abgelegen, die Täler des Tessins sind verzweigt. Diese Geografie fordert die Logistik heraus: Emanuele und sein Team planen die Touren zu den Gastronomiebetrieben sehr genau, «damit es aufgeht mit der Zeit, den Kilometern und dem Nachschub». Eines dieser Grotti am Ende des Verzasca-Tals ist unser letztes Ziel an diesem Tag.

Bondì a tücc

Wir verlassen Locarno und überwinden auf einer ebenso aussichts- wie kurvenreichen Fahrt 760 Höhenmeter. Wildschön, blau, grün, zwischendurch steingrau rast die Landschaft mitsamt Verzasca, Wäldern, Geröll und Stützmauern an uns vorbei. Stauseen, Römerbrücken, James-Bond-Viadukt grüssen uns. Am Ende des Verzasca-Tals, in der Ortschaft Sognogno liegt das Grotto Redorta. Zwischen dem «Monté Zucchero» und der «Corona Redorta» führt der «Passo Redorta» ins nächste Tal. An diesem Ort, wo Bergspitzen und Pässe locken, wo Wiesenflächen an Waldränder grenzen und an dem die Welt irgendwie ganz in Ordnung scheint, löschen Touristen und Einheimische ihren Durst unter anderem mit Appenzeller Bier.

Seit 2014 wird das Grotto Redorta von Arianna Panatti, ihrer Frau Cristina Via und ihrem Team geführt. Seit ebendiesem Jahr sind sie bereits Kundinnen der Brauerei Locher. Arianna stammt aus Norditalien, «aus einem Tal, das dem Verzasca-Tal nicht unähnlich ist» und schwärmt für die Landschaft, in der sich das Grotto befindet. Nebst der Umgebung sei für sie die Kundschaft «unglaublich». Im Grotto Redorta treffen ganz unterschiedliche Personen aufeinander. «Es ist ein Melting Pot der Kulturen!» Arianna ist Künstlerin, sie zeichnete zum Beispiel das Titelbild der Speisekarte. Auf der Terrasse findet man überall persönliche Dekorationen: Bemalte Steine, Blumentöpfe. Alles hat einen Bezug zur Natur, die den Ort genauso prägt wie die Menschen. Ihr herber Charme wirkt zu Beginn etwas kühl, kippt dann allerdings schnell in eine natürliche, tiefe Herzlichkeit. Alles im Grotto Redorta passt ins wilde, verzweigte Verzasca-Tal, an dessen Ende die Zeit anders vergeht als in der Stadt und wo wir zum Abschluss dieses ereignisreichen Tages ein kühles Appenzeller Bier geniessen. Vom Fass und in einem 3 dl-Glas. Grazie, Marco, Emanuele und Arianna! Salute, Ticino!

Salute! Auf einen ereignis- und erfolgreichen Tag im Tessin!

Hier geht es zum Portrait von Marco, Emanuele und Arianna.

*Bondì a tücc ist Tessiner Dialekt und heisst: «Willkommen für alle!»

Für unseren nächsten Ausflug haben wir schon eine Idee: Wir fahren in die Region, in der das Lieblingsbier von Marie-Louise seinen Ursprung hat. Ahnst du, wohin?

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