Quöllfrisch unterwegs in Appenzell
Der Brandlöscher tanzt mit seiner roten Etikette völlig aus der Reihe, bezüglich der sonst so idyllischen Appenzeller Bilder. Aber wie es so ist bei Bränden, hat jedes Feuer seinen zündenden Funken. Im Fall des Brandlöscher-Designs mussten im Gestaltungsprozess mehrere Brandherde gelöscht werden: Das bekannte Resultat ist das Werk von Philipp Broger und seinem Appenzeller Kommunikationsbüro Sichtwerk.

Ja, heitere Fahne, das Büro heisst Sichtwerk bleibt aber unsichtbar, was mich auf der Gaiserstrasse fast bis nach Gais wandern lässt. Es sei gegenüber dem Denner, sagt Philipp auf meinen Anruf hin, das grüne Haus mit den zwei Birken. Da war ich vor rund einer halben Stunde, bevor mich die Apple Map-App auf den geteerten Holzweg geführt hat. Von irgendeinem besoffenen Satelliten geritten. Abgelenkt vom Harassenturm im Denner-Schaufenster mit Schweizer statt Appenzeller Bier. Das markante Haus vis-à-vis hätte ich sonst vielleicht vom Bild auf der Website her wiedererkannt. Nun tschalpe ich also flott der hässlichen Umfahrungsrennbahn entlang den Hügel rauf. Wer hätte gedacht, dass hier in der Appenzeller Idylle ein Verkehr herrscht, der fast die Zürcher Rosengartenstrasse zu toppen vermag. Dazu blochen sie noch wie die Henker. Auf dem lebensgefährlich schmalen Trottoir landen wohl nur noch Trottel wie ich. Ein bissschen erinnerts mich an Max Küngs Kolumne Ich war noch nie in… Appenzell.
Sichtwerk – eine kleinfeine Kommunikationsagentur mit Ausstrahlung
Runter gehts immer. Und sogar die Abkürzung passt, die ich nehme, um den Kreisel-Rank auszulassen: Schon von weit oben sehe ich die roten Denner-Flaggen. Eigentlich ganz einfach zu finden. Hätte ich mich nicht auf die Technik verlassen, wäre ich punktgenau gelandet. Aber eben: Ausser dem Klingelschildchen deutet nichts auf die Agentur hin. Philipp Broger, Geschäftsführer von Sichtwerk, öffnet mir die Tür und führt mich ins Sitzungszimmer mit dem hämeligen Kachelofen. Den habe sein Vater bemalt, der Kunstmaler war. Nein, kein Bauernmaler. Malen, Zeichnen und Gestalten liegt also schon in der Familie. Ich schätze sein Alter so um 40 rum, frage ihn aber gar nicht danach. Wir setzen uns an den Holztisch mit Stahlgestell. Darauf stehen schon Brandlöscher-Flaschen und vier Buddeln Säntis Malt «Snow White»-Whisky.

Breiter Kundenstamm, interessante Mischung von Analog-Handwerk und Digital-Know how
Schon als ich unterwegs das Sichtwerk-Portfolio studierte, sind mir die Bleistiftentwürfe von Schriften, Emblemen, Ideen aufgefallen, die zu den verschiedenen Endresultaten führen. Ist längst nicht mehr üblich, dass vordigital noch handfest mit Bleistiften gearbeitet wird. Philipp Brogers erster Auftrag: Das Erscheinungsbild der Mineralquelle Gontenbad Goba AG. Er war noch jung, konnte viel lernen. Seither sind rund 20 Jahre die Sitter hinunter geflossen. Beim Goba Mineralwasser sei eigentlich noch alles gleich, ausser dass nun statt Appenzeller (klein) und mineral (gross) Mineral (klein) und Appenzell (gross) drauf stehe. Auch die Kohlensäurekategorisierung in STILL, LEISE, LAUT hätten die Sichtwerker*innen ausgetüftelt.

Das Portfolio von Sichtwerk ist eingeteilt in die Bereiche Webdesign, Apps, Corporate Design, Print und Packaging. Darunter ist auch eine H.R. Giger-Münze, die als Eintritt in den VIP-Bereich des legendären Nachtclubs Limelight in New York City galt. Ich hatte keine Ahnung, dass es in Appenzell neben den Alder Buebe & Co. so viele Jazzer gibt, für deren CD-Cover Sichtwerk das Design erarbeitet hat. Die Sichtwerk-Arbeiten zeichnen sich durch eine grosse stilistische Brandbeite an Lösungen aus, die die jeweiligen Kunden-Anforderungen auf den Punkt bringen. Teamwork und Zusammenarbeit wird hier gross geschrieben. Die ausgewogene Balance von Tradition, Zeitgemässheit und Innovation zeugt von sorgfältigen Recherchen und kreativen Prozessen. Hier wird nicht oberflächlich gewurstelt.

Oder wie es auf der Website heisst: Seit 1999 entwickeln wir in unserer Agentur in Appenzell als Team massgeschneiderte Konzepte, Strategien und Auftritte für klassische und neue Medien. Kreativität, Originalität, Fachwissen, Perfektion und Leidenschaft für Gestaltung und Technik schaffen Aufmerksamkeit. Wir entwickeln gemeinsam mit den Kunden Ideen und erarbeiten daraus nachhaltige Kommunikationslösungen. Die Basis dafür sind Analyse, Recherche zu Umfeld und Zielgruppe und Achtsamkeit für die Anliegen der Kunden. Begeisterung für Design und technische Herausforderungen sowie Freude an neuen Perspektiven und unkonventionellen Lösungen machen aus jedem Projekt etwas Aussergewöhnliches.
Der Teufel steckt im Detail
Die Liebe zum Detail – man sagt ja, im Detail sitze der Teufel – zeigt sich auch bei den vielen unscheinbaren Kleinigkeiten, die das einzigartige Gesamtbild des Brandlöscher-Pakets ausmachen. Die wuchtige Grossbuchstabenschrift trägt scheinbar Abnutzugsspuren. Das Siegel der Bügelflasche trägt die Anweisung «Hier ENTSICHERN». Das abgewandelte Logo der Brauerei Locher mit dem Wappenbären der Familie Locher samt den legendären Bierkugeln und den gekreuzten Feuerwehräxten. Der Feuerlöscher ist eine Flasche. «Dieses Bier bekämpft Kehlbrände schnell und wirksam!», heisst der Claim dazu. Auf der rückseitigen Etikette erhalten Brandlöscher-Anfänger*innen diverse Anweisungen bezüglich Brandstadium und entsprechendem Löschvorgang. Alles wunderbar illustriert mit speziell entwickelten Piktogrammen.

Die dazu erstellte Website brandloescher.ch dümpelt allerdings eher als bald ausgekühlter Schwelbrand vor sich hin. Sucht man nach der versprochenen Bedienungsanleitung, wird man sie nicht finden. Dafür ist da ein – für meinen Geschmack eher nicht so zündender – offizieller Brandlöscher-Song des House DJs und Produzenten Mr. Da-Nos zu entdecken. Für den Video-Clip hätte ich natüterli Mr. Da-Quöllbisch gefeatured – ein bitzeli feuriger Pfeffer, den man ablöschen kann. Immerhin hilft der Weekend-Counter den «Höhlenbewohner*innen» im Homeoffice, die wenigen Orientierungspfeiler eines «neunormalen» Alltagslebens zu sichern. Und wenn man unten rechts auf «Appenzeller Bier» klickt, befindet man sich direkt im Online-Shop der Brauerei und kann alle Brände dieser Welt löschen.

Die Bieridee kommt aus dem Mittelalter

Natürlich stammt der Name «Brandlöscher» mal wieder vom umtriebigen Karl Locher himself. Am Anfang stand aber das alle drei bis fünf Jahre stattfindende Mittelalter-Spektakel, das Philipp Broger 2005 mitinitiierte und seither mitorganisiert. Das sei mit seinen Waschweibern, Schankmägden, Glücksfehen, Märchenerzählerinnen, Wachtruppen, Herolden, Wurstbratern, Marktfahrern, Spielleuten, Fanfaren, Jagdbläsern, Geschichtenerzählern, Zöllnern, Gauklern und Artisten ein Riesenerfolg gewesen, der Andrang brutal. Man habe am Sonntag in Ausserrhoden (!) Würste und Brot organisieren müssen, weil alles weggegessen war. Dieses Jahr im September soll nach 2018 wieder eines zum Kirchenjubiläum stattfinden, wenn die dritte Corona-Welle es nicht wegspült.

Natürlich durfte die Brauerei Locher als Kommunikationspartner nicht fehlen. Man braute vor Ort das «Hofer Brauw» nach mittelalterlicher Rezeptur mit mittelalterlichen Gewürzen und Aromen wie Orangenschalen und Koriander. «Hofer Brauw» wurde das ganze Jahr über auch in der Bügelflasche angeboten. Auf dem aktuellen – von Sichtwerk gestalteten – Etikett prosten sich Edelmann und Edelfrau in mittelalterlichem Aufzug mit riesigen Bierkrügen über dem Appenzeller Bären zu. Als das Spektakel im Rahmen der Gedenkfeier «450 Jahre Dorfbrand» stattfand, war es nichts als logisch, dass Karl Locher das Bier dazu «Brandlöscher» nannte, oder? So warens plötzlich zwei Biere namens «Brand Löscher». Aber das Zweibier-Etikettendilemma geht erst los.
Für diesen ersten «Brandlöscher» malte Philipp Broger ein buntes Etikett mit feuergerötetem Brandhimmel, das sich in Grimms Märchen bestens machen würde. Er selbst nennt es «emotional illustrativ». Er habe es sehr genossen, wieder einmal zu malen, erinnert sich der Schöpfer. Im Vordergrund nimmt der Bartli mit Nebelspalter (so heisst der Dreispitz bzw. Dreimasterhut im Volksmund) und Hellebarde grad mal einen kräftigen Schluck gegen Kehlbrand. Auch dieser wurde über diverse Bleistiftskizzen erarbeitet.

«Da isch guet!»
Dann wollte Karl Locher noch eine zweite Etikette, eine bodenständigere. «Hilty-Style», habe er gesagt, sagt Broger. «Näbis rechts, näbis für de Arbeiter.» Das sei der Input gewesen. Daraus entwickelte das Sichtwerk-Team das rote Brandlöscher-Design. Als dieses eigentlich fertig entwickelt und schon fast genehmigt war, hätten die Aussendienst-Mitarbeiter die Hände verworfen und gemeint, das gehe doch nicht, das entspreche nicht dem Key-Visual der Brauerei Locher mit seinen Heile-Welt-Bildern, der blaue Himmel, die Bauernmalereien. Das sei wie die Faust aufs Auge, man mache so die Marke kaputt. Es hat nicht viel gefehlt, hätte man alles verworfen. «I het halbe chöne breule.» – Und siehe, ein Retter erschien.
Simon Enzler hatte irgendein Meeting mit Karl Locher in der Brauerei. Er platzte – wohl gemerkt: unabgesprochen – genau in dem Moment herein, als Philipp Broger die ganze Sache schon rübis und stübis versenkt sah. Und peng! habe er reagiert und gesagt: «Da isch guet!» Wie er halt ist: spontan und direkt. So habe er die ganze liebe Müh in letzter Sekunde gerettet. Dank ihm sieht der Brandlöscher seit 2011 so aus und die prophezeite Apokalypse kann warten. Weder die heile Welt noch die Marke Appenzeller Bier sind untergegangen. Der Brandlöscher läuft gut und löscht besser. Aber damit war noch nicht ganz alles geklärt: Nun gab es nämlich zwei verschiedene Brandlöscher, was Verwirrung stiftete. Die Märchenversion wurde eher im Gastrobereich verkauft. Auf einem Flyer wollte man die beiden sehr unterschiedlichen Designs verbinden, was irgendwie erzwungen wirkte und auch keine Klarheit brachte für Uneingeweihte. Da sich die Märchenversion aber schlechter verkaufte, löste sich das Problem quasi von selbst: sie wurde eingestellt.
Das wahre Märchen vom Schneewhiskchen – Limited Edition
Beim Verpackungs und Etikettendesign müsse man viele kleine Sachen berücksichtigen, die bei einem Flyer kaum eine Rolle spielten, führt Philipp Broger aus. Zum Beispiel sei es schon eine aufwändige, aber wichtige Tüftelei, wie man ein Prozentzeichen macht. «Ganz schnell ischs zviel, ganz schnell ischs zwenig.» Alles muss klar definiert und reduziert sein. Mit dem Flaschendesign der Limited Edition Snow White kam 2013 ein jährlich wiederkehrender Auftrag der Brauerei herein. «Snow White» ist die auf 2 000 Flaschen limitierte Winteredition des im Bierfass gereiften Single Malt Whisky, vollendet durch eine Zweitreifung in Fässern, die zuvor mit Fruchtbrand befüllt waren. Der Geschmack des Whiskys setzt sich gekonnt gegen die Frucht durch, welche trotzdem gut erkennbar ist und dem Whisky einen deutlichen Stempel aufdrückt. Die transparenten Flaschen sind vorn und hinten direkt auf dem Glas bedruckt, was Raum lässt für raffinierte Ideen. Aktuell ist die Edition Nr. 8 von 2020, im Shop erhältlich für 79 Franken. Die Edition Nr. 9 steht eigentlich auch schon, ist aber noch geheim. Auf dem Tisch stehen nur vier Flaschen. Mehr habe er nicht, er müsse mal nachfragen, ob er die Sammlung noch vervollständigen könne, meint Broger. Ich stimme ihm zu: Beleg-Exemplare für den Gestalter sind Usus. Bei Büchern liegt das normalerweise im Bereich von fünf bis zehn Stück. Beim Säntis-Whisky ist das nicht so klar.

Jede Ausgabe hat ihre Besonderheiten. Beispielsweise schwarz gedruckte Texte, die hinter der weiss gestalteten Vorderseite sichtbar und nur von vorne zu lesen sind. Oder – wie bei der Ausgabe Nr. 6, wo im umrandeten Sternenhimmel durch richtiges Halten der Flasche die Sternbilder «Perseus» und «Andromeda» sichtbar werden. Der dazugehörende Text schimmert zwar durch, kann aber nur von hinten gelesen werden.

Und schon treten die nächsten Kunden ein. Ich verabschiede mich und mache unterwegs noch einen Seitensprung zu Adalbert Fässler, der wunderbare Appenzeller Gürtel macht. Ich wünsche mir schon lange einen ägeten mit Silberbeschlägen. Seine Werkstatt ist ein Traum. Ich klopfe, öffne die Tür, trete halb ein. Der Chef sitzt am Werkpult und telefoniert. Ich warte in der Tür bis er das Gespräch beendet hat. Vorher dreht er sich nicht mal um. Dann zeigt er mir alles, erklärt, worauf ich achten soll, wenn ich selber einen Gurt entwerfe. Mal sehen, ob ich mir das leisten kann, ohne danach nur noch Cervelat fressen zu müssen. Adalbert Fässler ist auch Präsident des Vereins Mittelalter-Spektakel – und er hat die Etikette des Appenzeller Bieres «Schwarzer Kristall» gestaltet. Also werden wir ihn bald noch einmal aufsuchen – mit oder ohne Gürtelentwurf.
Hier schliessen wir den Kreisel

Nach dem in Appenzell stattfindenden Eidgenössischen Jubiläums-Schwingfest (EJSF) könnte man den eingangs gemachten Gestaltungsvorschlag verwirklichen. Bis dann geben sich die beiden Schwinger wohl nicht ganz Corona konform, aber fair weiter die Hand. Sie können gar nicht mehr nicht voneinander lassen. Das eigentlich auf 2020 fallende EJSF wurde um ein Jahr auf Anfang September verschoben. Falls es nicht von Virus-Mutanten gefressen wird. Im Moment ist nur sicher, dass nichts sicher ist. Wir werden sehen. Jedenfalls lassen wir nichts anbrennen, gell. Prost!