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«Gott gibt die Nüsse, aber er knackt sie nicht.»

Quöllfrisch unterwegs auf der Staubern

Ein lohnenswerter Trip für Dagebliebene & Herbstwanderer: Dank der ersten energieneutralen Seilbahn der Welt kann man auf der Staubern Alpsteinwanderungen beginnen und beenden oder einfach nur einkehren und Aussicht und Kulinarisches geniessen – samt Übernachtung.

Freitag, der Dreizehnte. Juli 2018. Die Trockenheit nimmt zu. Besonders im Rheintal, das mehr und mehr zum Wallis der Ostschweiz mutiert. Drei Wochen später werden schon gewisse Laubbäume teilweise braun sein. Die heutige Bike-Tour beginnt in Gossau SG, von wo ich nach Appenzell radle, um in der Brauerei Locher zwei Espressi mit Gipfeli zu verkosten. Dann gehts mit viel Rekuperierfunktion über Eggerstanden runter nach Oberriet – Rüthi – Sennwald – Frümsen.

Oha, schon der praktisch gegenverkehrfreie Weg durch die sanften Hügel von Gossau nach Appenzell wird als sehr gefährlich eingestuft. Da blüht mir ja wohl noch was an diesem Freitag, dem Dreizehnten!

Frankreich ist noch nicht Fussball-Weltmeister, Deutschland schon nach der Gruppenphase raus und nachwehendes Gehader mit Özil. Der eigentlich im Fussball grundlegende Doppelpass wird in der Schweiz nach einem quasi kampflos verloren gegebenen Viertelfinalspiel zur dadaistischen Foulspiel-Variation eines Hands-Doppeladlers mit vierfacher Schraube, sodass der Schweizerische Fussballverband nicht mehr weiss, wo oben und unten ist. Geschweige denn, welche Schweizer welche Pässe und Bürgerschaften besitzen. Wir sehen hier also – wie schon im Kasan-Beitrag festgehalten – einen weiteren Beweis dafür, dass Fussball absolut null und nischt mit Politik zu tun hat, aber extrem viel mit Willkür und Zufall.

Auf Hawaii gibts laut Lied kein Bier. Auf der Staubern aber, sorgt die Brauerei Locher offensichtlich für genügend Nachschub.

Bei solch welt- und nationenverkehrten Verwirrungen empfiehlt sich die klärende Gratwanderung zwischen «hena» und «dena» auf der Staubern – denn die Grenzen überwindende Vielfalt ist hier oben Programm. Ganz ohne Pass und ID. «Hena» meint die Rheintal-, «dena» die Appenzellerseite. Sogar Couchpotatoes und Wandermuffel schaffen den Höhenunterschied von über 1200 Metern vom st. gallischen Frümsen in den Alpstein, wo die Grenze zum Appenzellerland verläuft, locker in unter acht Minuten – mit der ersten energieneutralen Seilbahn der Welt. Im Berggasthaus Staubern werden lokale Spezialitäten von «hena» und «dena» serviert.

Die neue, Sonnenenergie tankende Talstation der Staubern-Seilbahn. Ein zweiter Akku soll die vollständige Selbstversorgung von Bahn und Berggasthaus gewährleisten. Wo die Kabel zu sehen sind, können E-Autos und E-Bikes geladen werden.

Berggasthauswirt und Bahnbetreiber Daniel Lüchinger sagte mir am Telefon, bei schönem Wetter habe er keine Zeit, mit mir zu reden. Aber ich soll einfach mal kommen. Wir haben zwar Wolken am blauen Himmel, aber eben postkartenwettermässig. Und schon an der Talstation siehts aufgrund der parkierten Autos aus diversen Kantonen und Ländern nach einem ordentlichen Personenverkehr aus und damit eher nach einem Besuch ohne Quöllfrisch.Blog-Interview. Aber das werden wir im goldenen Herbst nachholen, wo es sowieso nichts Schöneres gibt, als im Alpstein zu wandern. Sogar Quölli, den Quöllfrisch unterwegs-Stromer, hätte ich an der für vier E-Autos und ebensoviele E-Bikes vorgesehenen Aufladestation mit Sonnenstrom füttern können. Das aber wusste ich noch nicht. Es hätte die Tagestour noch um einige Kilometer auf dem Bike erweitert. So aber lasse ich quasi den (Draht-)Esel am Berg stehen. Er hat es gut beim Dösen im Schatten der Bäume.

Quölli gehts auch ohne Sonnenstrom-Snack gut beim Warten. Staubernwirt Lüchinger war enttäuscht, dass das gute Ding noch nicht gebrandet ist (nein, nicht wie im Western mit Brandzeichen, sondern mit Quöllfrisch unterwegs-Design). Und natürlich konnte er sich eine Bemerkung über die ZH-Nummer nicht verkneifen.

Bei der gänzlich in Photovoltaik-Panels gehüllten Talstation geht alles vollautomatisch. Im brandneu leuchtenden Kupferdach daneben erkenne ich noch nicht die Nuss im Massstab von 10 000:1, obwohl davor zwei geschnitzte Vollholz-Walnüsse liegen. Aber wenn mans mal weiss, ist es auch meinem Nusshirn klar. Weil Frümsen eben DAS Nussdorf ist und als solches – laut dorfeigener Website – noch viel berühmter werden will: Mit einer gross angelegten Nussbaum-Pflanzung will dieser kleine Ort nun das bekannteste Baumnussdorf der Schweiz werden. Der Sortengarten wurde schon mal mit dem 1000-Franken-Anerkennungspreis der Arbeitsgemeinschaft Alpenländer 2017 ausgezeichnet.

Zwei Nüsse für Aschenbrödels und König*innen vor der Event-Nuss: Tätschmeister Daniel Lüchinger hat hier noch einiges vor.

Es heisst, die Seilbahn sei der einzige Zubringer vom Rheintal in den Alpstein. Da sind wir also wieder beim Leiterli- und Kuhfladen-Bild aus der Primarschule (wie im Blogbeitrag Über Wurzelstock & Stein zur Bergbraugerste beschrieben): Wer vom st. gallischen Kuhfladen zum drin liegenden Fünfliber gelangen will, muss aufwärts. Und kann jetzt also auch den Luftweg nehmen. Ich setze mich zu den zwei mittelalterlichen Paaren, die schon in der Gondel auf die Abfahrt warten. Nach einigen Minuten schliesst die Tür, es kann losgehen.

They got nuts: Berggasthauswirt Daniel Lüchinger blickt weit in die Zukunft, wenn er seinen Eventraum – eine Holznuss mit Kupferdach – neben der Talstation schon in Grün sieht – dazu muss sie erst noch die erwartete Patina (sprich: Grünspan) ansetzen.

Kurz nach High Noon bin ich oben. Beeindruckend ist nicht nur die Aussicht ins Rheintal, sondern auch der schroffe Zacken über dem Berggasthaus. Das muss die Stauberen Kanzel sein und wohl der Ort, wo Gott persönlich die donnerndsten Predigten hält. Sie ist mir aber eher aus höllischen Gründen ein Begriff. Denn während meine Schulgspänli der dritten Primarschulklasse in Heiden an schönen Sonntagen ins Schwimmbad durften, musste ich mit Eltern und jüngerem Bruder auf jeden vermaledeiten Gipfel der Schweiz seckeln. Die beiden ältern Geschwister konnten tun und lassen, was ihnen beliebte. Nur ich Weltärmster war geschlagen mit diesem verdammten Berggängerdrill. So trottete ich jeweils trotzig hinterher, beide Hände faustgeballt und tief bis zu den Knien in die Hosensäcke gestemmt. Die Stauberen Kanzel-Wanderung war Teil jenes Siebenstünders, bei dem ich mich am Schluss mit 39 Grad Fieber und steifem Knie die letzte sacksteile Wegstrecke vom Hohen Kasten runterquälen musste. Horror! Am nächsten Tag landete ich für zehn Tage im Kantonsspital St. Gallen, um einen winzigen Nadelsplitter aus dem Knie operieren zu lassen. Den hatte ich mir beim Spielen auf allen Vieren aus dem grässlichen Spannteppich unseres Wohnzimmers eingefangen. Die lebenslange Narbe misst im Vergleich zum mikroskopisch kleinen Splitter gigantische zehn Zentimeter.

Von der imposanten Stauberen Kanzel predigen vor allem Naturgewalten. Und die Sonne liefert den Strom für Bahn und Berggasthaus. Aber es ist kühl geworden: Kurz vor diesem Bild war die Terrasse noch kunterbunt bevölkert.

Es ist merklich kühler hier oben als im überheizten Rheintal. Und weil fast alle Plätze draussen besetzt sind, ich vom Radeln noch schweissnass bin, setze ich mich in die gemütliche Gaststube. Der Mittagsservice läuft auf Hochtouren. Die angeblich – etwas überregional an den Haaren hergeholt – dem Berggrat nachempfundene Karte kann, in die Mitte gestellt, «hena» und «dena» von zwei Personen gleichzeitig gelesen werden. Ich bestelle den Tagesteller: Schweinsbraten, Rösti, Gemüse und Salat für 20 Stutz. Und da mich plötzlich eine Lust auf dunkles Bier befällt, muss ich fremdgehen. Sorry, Brauerei Locher, aber es gibt nur das Jubiläumsbier 1891 Dunkel der 120-jährigen Brauerei Sonnenbräu Rebstein. Und es mundet. Hätte es das Appenzeller Bier des Monats August Quöllfrisch Dunkel gegeben, wäre meine Wahl natürlich auf dieses gefallen. Babyfinger-Ehrenwort, wie meine Quasi-Nichte mit einem gegenseitigen Verhaken des kleinen Fingers zu sagen pflegt. Hätte, könnte, wäre. Das ist halt mit «hena» und «dena» – Vielfalt erfordert auch in Sachen Bier Toleranz und Weltoffenheit ohne dogmatischen Fundamentalismus. Gibts eigentlich auch schon Nussbier? Guguselen ergibt: Ja, eines aus grünen Walnüssen gibts beispielsweise.

Bürgerlich währschaft: Der Tagesteller im Berggausthaus Staubern.

Vor dem Fenster setzen sich fünf bärtige Gratwanderer um die dreissig an einen der Granittische. Einer mit Fremdbier-Strohhut, alle mit Sonnenbrillen. Sie trinken unisono Quöllfrisch Hell, 5dl-Flaschen. Ein schweifender Blick  über die sichtbaren Tische zeigt: Dieses Appenzeller Bier wird überdurchschnittlich oft getrunken. Anfangs noch locker im T-Shirt, sind die fünf Bartlis inzwischen dick eingepackt. Und es folgt denn auch bald eine Runde Kafi Luz. Wanderer kommen und gehen auf dem Gratweg Richtung Säntis. Ein paar Dohlen vollführen gewagte Kapriolen in der Luft. Frechi Sieche, diese gelbschnäbligen Flugkünstler.

Postkartenwetter auf dem Grat.
Noch ein Blick in Richtung Appenzellerland.

Neben mich setzen sich zwei Stammgäste im Läuferdress. Der eine kippt das Gleiche wie ich, nur schneller, der andere ein Sonnwendlig. Sie kennen sich. Und wahrscheinlich seckeln sie vor allem trainingshalber regelmässig hier hoch und auch wieder runter. Bergmarathonisten. Nicht mein Ding, aber sie wirken happy. Der Service des Familienbetriebs läuft picobello, freundlich und sachlich. Daniel Lüchinger steht in der Küche und begrüsst zwischendrin kurz die beiden Stammgäste, seine Frau Judith pendelt zwischen Buffet und Küche. Die Seilbahn ist familienfinanziert. In einem Film sagt Lüchinger, die Kosten von fünf Millionen seien schon viel, aber man müsse auch etwas riskieren: «Wänt kein Füfer flüge losch, chasch au kän ufläse.» Logisch. Und wenn du Gottes Nüsse nicht knackst, kannst du sie auch nicht essen. Oder zu Spezialitäten verarbeiten. Der Titelspruch «Gott gibt die Nüsse, aber er knackt sie nicht.» stammt übrigens von einem Schild in der Eventraum-Nuss.

Nachdem ich noch einige – gopferteli, alle unscharf! Wieso? – Fotos gemacht habe, mache ich mich auf zur Talfahrt. (Das Problem mit dem Fotoapparat konnte ich inzwischen beheben.) Ich setze mich also in die Gondel, als es irgendwo in den Betongängen rumpelt und kasumpelt. Irgendein Gejufel ist im Gang. Man verlädt Gläser, Apéro-Gebäck und Getränke, etwas ausser Atem setzt sich der Chef persönlich zu den Gebinden. Er sei schon wieder zu spät, man erwarte ihn unten. Jetzt kann ich doch noch rund acht Minuten mit ihm parlieren. König Zufall knackt also auch diese Nuss. Und Daniel Lüchinger erweist sich als witziger, umtriebiger und unterhaltsamer Gesprächspartner. Wir werden das Interview noch nachholen, Chef.

Eine weitere Knacknuss habe ich zu lösen, als Daniel Lüchinger ganz selbstverständlich und wiederholt von der grünen Nuss spricht, in der nun ein Apéro stattfinde. Wie gesagt, bis da habe ich ja noch nicht wirklich geschnallt, dass das Holzgebäude mit dem Kupferdach eine Nuss darstellt. Ich dachte eher an extravagante Avantgarde-Architektur. So modern halt. Das Aha-Erlebnis erfolgt sogleich: Nun ist er an diesem Freitag zwar zu spät dran, steckt quasi gegenwärtig noch in der Vergangenheit. Seine Gedanken aber sehen in die Zukunft, in der das Kupferdach grün patiniert leuchten wird.

Schön, dass er dazwischen trotzdem noch kurz Zeit findet, um mit mir Quölli zu besichtigen und – ist ja gut! – die Zürcher Nummer zu bemängeln. Das werde ich wohl noch öfters zu hören bekommen. Aber hallo: Quöllfrisch wird interkantonal genossen, nicht nur «dena»! Ein Gruss noch ans Appenzeller Bierteam und schon verschwindet er hinter der grünen Nuss, die kupfern schillert, um bei der Apéro-Gruppe ein paar Minuten zu refererieren. Die Zukunft nimmt hier bei der Staubernbahn also ihren Lauf, während ich mit Quölli auf dem Weg zum Bahnverlad in Buchs SG noch dem Kalif Storch aus Tausendundeiner Nacht begegne.

Wer – ausser natürlich der Trump – kann bei diesem Bild noch sagen, er glaube nicht an den Storch.

Demnächst: Quöllfrisch unterwegs bei Bio-Braugerstenproduzent & Ex-Mister Schweiz Renzo Blumenthal.

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