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Frühlingsgruss aus dem Stammheimer Hopfengarten

Quöllfrisch unterwegs in Stammheim ZH

Der April schon wieder fast vorbei, es grüsst schon wieder der Mai. Und zufällig ist noch Tag des Schweizer Bieres. Fahren wir doch wieder mal zu Hopfentropfen nach Unterstammheim. Im Zug kann ich arbeiten und in der Gartenbeiz der Hopfentropfener Biertankstelle auch. Home-Office unter freiem Himmel – was will man mehr?

Klimafreundlich unterwegs: Vor dem Fenster rauscht der Frühling in kräftigem Rapsgelb und Saftgrün vorbei.

Freitag, 29. April 2022. Tag des Schweizer Bieres. Zufall, obwohl ichs ja eigentlich hätte wissen sollen. Aber ich habe den Ausflug nach dem Wetter gerichtet. Nach einer Stunde Fahrt mit Umsteigen in Winterthur landet der laut Website moderne Thurbo von Stadler Rail aus dem thurgauischen Bussnang im Zürcherischen Stammheim, wo der Bahnhof auch nicht mehr ist, was er mal war (s. Bilder). Die Thurbos feiern 20-Jahr-Jubiliäum. Sowieso scheint das Jahr ein Jahr der Jubiläen zu werden.

Schon vom Bahnhof her zu sehen: Der Hopfengarten der Familie Reutimann. Aber wie, verflixti Zeine, kommt man über die Geleise?

Das grosse Bier- und Hopfenfest am 18./19. Juni 2022

Gleich vier Jubelgründe verzeichnet Hopfentropfen: 70 Jahre Hopfenanbau, 25 Jahre Hopfentropfen, 20 Jahre Hopfenbräu, 10-jähriger Stammheimer Single Malt. Die Aufnahme stammt von einem früheren Fest auf dem Stammer Hopfentropfenhof.

Gleich vier Jubelgründe verzeichnet Hopfentropfen: 70 Jahre Hopfenanbau, 25 Jahre Hopfentropfen, 20 Jahre Hopfenbräu, 10-jähriger Stammheimer Single Malt sollen mit einem rauschenden «Bier- und Hopfenfest» am Wochenende des 18./19. Juni 2022 ausgiebig gefeiert werden. Sechs weitere Brauereien sind eingeladen. Dieses Jahr sei die Brauerei Locher für einmal nicht dabei, dafür die Brauerei Schützengarten, die ebenfalls Stammheimer Hopfen kauft, sowie fünf Kleinbrauereien: Brauerei Seebuben, Hombrechtikon; Brauerei Stadtguet, Winterthur; HOPe Kraftbier, Neuhausen; Gottfried, Craftbeer, Stein am Rhein/Zürich; Viking Brew Lab, Kemptthal. Und: Hopfen-Bar; Mister Bierbauch-Wahl; Bullenreiten; Hau den Lukas; Festzelt; Führungen im Hopfengarten; Foodtrucks mit Köstlichkeiten; Live Musik; Sandmulde für Kinder; Zeltplatz; Parkplatz.

Wobei, gell, irgendwie ist die Brauerei Locher eben doch dabei, wenn das Ländler-Trio am Sonntag «Quöllfrisch-Buebe» heisst. Die Herkunft der Samstagsband wiederum verwirrt mich ordli beim Guguselen: Ausgerechnet die selbsternannte «erfolgreichste Oktoberfest-Band der Schweiz» trägt den Namen eines steirischen Weins Namens Schilcher, der auch mit dem Uhudler zu vergleichen sei; allerdings wiederum sei ersterer aus der Edelweinsorte Blauer Wildbacher gekeltert, während der südburgenländische Uhudler genetisch ein «Amerikaner» sei. Söll drus cho, wär will. Jedenfalls spielen die Partyband-Schilchers zum bierigen Junifest in Zweierformation auf. Ihr Repertoire umfasse hunderte Hits – von Andreas Gabalier über Helene Fischer und Elton John bis Status Quo. Vielleicht können sie auch ZZ Top und tragen Hopfenbärte…

Gspässige Zeiten: Ausgediente Bahnhofsglocken & Palmen

Der wilde, wilde Osten: Amtlich geschlossenes Solarium, betriebsbereiter Selecta-Automat (der Billetautomat steht um die Ecke) und ausgediente Bahnhofsglocken – auf der andern Seite des Gebäudes signalisieren zudem Kleber und Infoblatt des Betreibungsamtes, dass der Bahnhof Stammheim auch nicht mehr ist, was er mal war.

Ich fühle mich ein bisschen wie Clint Eastwood im Western «Es war einmal in der Ostschweiz», lonesome Cowboy mit Zahnstocher statt Zigarillostumpf im Mundwinkel, der irgendwo im gottsverlassenen Nirgendwo aus dem von einer stampfenden, qualmenden und pfeifenden Höllenmaschine gezogenen Waggon aussteigt. Wortkarg. Augen zusammengekniffen. High noon schon Dreiviertelstunde vorbei. Kein Gegner auszumachen. Ein Bussard wird zum über mir kreisenden Geier. Natürlich bin ich der Gute, der schneller zieht als sein Schatten. Voll cool. Aber gopfertami!, wie komme ich über die verflixten Schienen mit nachfolgender Strasse, ohne zuvor von einem Thurbo überfahren zu werden? Hätte man nicht grad direkt beim Bahnhöfliausbau eine Unterführung mitplanen können oder bin ich der einzige, der hier ankommt und dort rüber will? – Wahrscheinlich. Bahnhöfe sind auch nicht mehr, was sie mal waren: Im hiesigen war anscheinend – statt Schalter und Wartsaal – ein Solarium eingemietet, das sichtlich Konkurs gegangen ist. Immerhin führt die «Pizzeria la stazione» im einstigen «Restaurant Bahnhof» vis-à-vis hiesiges Stammheimer Hopfen-Bräu. Ein Hopfnungsschimmer in mehr als gspässigen Zeiten.

Eingang zum einstigen Schalter.

Grosse Vögel, kleine Vögel, keine Vögel

Tja, dann mal flott die Sporen gewetzt und auf Schusters Rappen den Gleisen entlang gelatscht– nein, ich lege mein Ohr nicht drauf, um rauszufinden, ob ein Zug kommt und dann schwupps! heil über die beiden Geleise und schwupps! heil über den anschliessenden Zaun geklettert und schwupps! von einem SUV überfahren –, bis irgendwo die Möglichkeit des Untendurchs kommt. Natürlich wäre ich besser einige Meter in Fahrtrichtung zurückgegangen, denn die dortige Unterführung habe ich schon ein paarmal mit Quölli passiert, aber das merke ich Tubel erst danach. Ein dunkelhäutiger junger Mann kommt mir entgegen, der mir nach kurzem Zögern in glasklarem Schaffhauserdialekt antwortet, über die Treppe gleich da vorne komme ich auf die andere Seite. Also nichts wie los und auf dem Trottoir untendurch. Auf der andern Seite wüten die orange-leuchtgelb gekleideten Strassenrandmäher mit ihren ohrenbetäubenden Mähstangen und Gehörschützen. Natürlich, wenn ich komme, muss die Stille so laut wie möglich sein. Immerhin Mähen und nicht Spritzen, gell. Aber auch mit diesen sogenannten Motorsensen, Freischneidern oder Rasentrimmern wird die Insektenwelt wohl nicht so ganz glücklich.

Weiss der Geier, ich liebe den Flug der Raubvögel.

Im grossen Kanton ruft die Deutsche Gartenbau-Gesellschaft zum «Mähfreien Mai» auf, um die in den letzten Jahren bis zu 75% zurückgegangenen Insekten zu schützen. Wer den auch hierzulande mittlerweile bewiesenen Insektenrückgang bestreitet, und nach längerer Autobahnfahrt keine verklebten Windschutzscheiben vorfindet, hat den Beweis soeben im wahrsten Wortsinne «erfahren» und braucht nur noch seine Schlüsse draus zu ziehen. Wär ich Veganer, dürfte ich also locker auch wieder Auto fahren, solange ich weder Igel noch Reh noch Wolf noch Nilpferd überfahre. Und zwar furzegal, ob fossil (diese Tiere sind ja schon länger hinüber) oder mit Strom (nein, Stauseen tun keiner Fliege was zuleide).– Diskriminierung! Warum sollten wir nicht Auto fahren dürfen?, rufts erstaunt aus dem Unterholz.

Aber mal ehrlich – im Nachbarland würds neuerdings schlauerweise heissen: Machen wir uns mal ehrlich! –, liebe Superordnungsgärtner: Wie sollen denn Insekten fressende Vögel überleben, wenn es keine Insekten mehr gibt? Au, die Scheissmücke hat mich voll erwischt! Ganz zu schweigen von den Bestäubungsproblemen, die den Pflanzen den Garaus machen können. Und: Ja, die Bienen sind auch Insekten, im Fall! – Einzige Ausnahme weltweit: die brewbee-Braubiene.

So weiter gedacht, führt die lädierte Nahrungskette bis hin zu uns Menschen: Wie sollen wir überleben, wenn es keine Vögel und Bienen mehr gibt, die die Pflanzen befruchten? Ich habe ja schon einmal geschildert, was Maos «Spatzenkrieg» bewirkt hat. Und wer jetzt die Schweiz als Vogelparadies sieht, der nehme sich die Warnung der Vogelwarte Sempach zu Herzen: 40% der Brutvögel sind bedroht! Von den rund 200 Brutvogelarten der Schweiz sind mehr als die Hälfte bedroht oder potenziell gefährdet und auf der Roten Liste Brutvögel aufgeführt, die nach den Kriterien der IUCN erstellt wird. Auf vogelwarte.ch oder birdlife.ch gibts diverse Tipps, wie man der Insekten- und Vogelwelt, die ja auch die unsere ist, beim Überleben helfen kann. Damits wieder heisst: Leben statt Überleben.

Und wer jetzt seinen herzigen Mähroboter verteidigen will, der lese auf naturschutz.ch «Rasenroboter: leise Killer im eigenen Garten» und ziehe dann möglichst proaktive Schlüsse. Auch bedenklich interessant: «Die Schweizer Vogelwelt besteht fast nur noch aus Poulets».

Da kann man weder das Gras wachsen hören, noch irgendwelches Insektensummen: Rasenroboter bei der Arbeit auf einer Schulanlage.

Nur weil wir etwas nicht sehen wollen oder können, ist es nicht nicht da. Machen wir einen Ausflug ins Museum mit der preisgekrönten Wissenschaftsjournalistin Elizabeth Kolbert:

Im American Museum of Natural History ist im Saal für Artenvielfalt ein Exponat in den Boden eingelassen: Auf einer Platte in der Mitte steht, dass es fünf grosse Massenaussterbeereignisse gab, seit sich vor über fünfhundert Millionen Jahren komplexe Tiere entwickelten. Verantwortlich für diese Ereignisse waren, laut Platteninschrift, «globaler Klimawandel und andere Ursachen, wahrscheinlich unter anderem Kollisionen extraterrestrischer Objekte mit der Erde». Weiter heisst es dort: «Gegenwärtig befinden wir uns mitten im Sechsten Artensterben, dieses Mal ausschliesslich verursacht durch die Transformation der ökologischen Landschaft durch die Menschheit.»

Rund um diese Platte sind strahlenförmig dicke Plexiglasscheiben in den Boden eingelassen, darunter befinden sich Fossilien einiger exemplarischer Opfer des jeweiligen Massenaussterbens. Das Plexiglas ist zerkratzt von den Schuhen Zehntausender Museumsbesucher, die darüber gegangen sind, meistens wahrscheinlich ohne darauf zu achten, was unter ihren Füssen war. Geht man aber in die Hocke und schaut genau hin, kann man sehen, dass jedes Fossil mit dem Namen der Spezies und dem Aussterbeereignis beschriftet ist, das ihrer Abstammungslinie ein Ende bereitete. Die Fossilien sind chronologisch angeordnet, die ältesten – Graptolithen aus dem Ordovizium – in Zentrumsnähe, die jüngsten – Zähne des Tyrannosaurus rex aus der Oberkreide – weiter entfernt. Steht man am Rand des Exponats – eigentlich dem einzigen Ort, von dem aus man es betrachten kann –, dann befindet man sich an der Stelle, an der die Opfer des Sechsten Massensterbens dokumentiert sein sollten.

Elizabeth Kolbert: Das 6. Sterben. Wie der Mensch Naturgeschichte schreibt. Suhrkamp Verlag Berlin 2015 / Die amerikanische Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel The Sixth Extinction. An Unnatural History und wurde mit dem Pulitzerpreis 2015 ausgezeichnet.

Intermezzo Hochstammkultur: «… und hau em grad de Pömpl ab!»

Ein Artikel auf infosperber.ch geht mir dieser Tage nicht mehr aus dem Kopf, da er auch mit der schwindenden Artenvielfalt zu tun hat. Natürlich auch, weil die Brauerei Locher die noch existierende Hochstammkulturen der IG Appenzeller Obst unterstützt, indem sie deren Hochstammobst in Konzentratform zu einem fairen Preis abkauft. Fürs Bschorle und Apfelessig, wie wir wissen. Die letztjährige Ernte sei übrigens zum Abwinken gewesen. Hier gehts zu den Berichten: Der Hochstammhimmel hängt voller Bschorle und Ein Hochstammhoch aufs Bschorle!

Und ganz nebenbei entdecke ich, dass die Oberegger Käserei Bürki ein Bschorle Fondue lanciert hat. Da läuft etwas im Appenzellerland.

Die weltberühmten Oberegger Bschorle-Hochstämme tragen das ganze Jahr über Blüten und Früchte – jedenfalls auf der Etikette von Karin Ammann.

Hans Steiger bespricht im Artikel «Baummord» und neues Erblühen in Mostindien den 159. Jahresband des Historischen Vereins des Kantons Thurgau des Autors Franco Ruault: «Baummord. Die staatlich organisierten Obstbaum-Fällaktionen 1950-1975». Dabei seien in der ganzen Schweiz über 11 Millionen (!) Obstbäume zerstört worden; davon über eine Million im Thurgau. Ein Rieseneingriff ins Landschaftsbild, ganz besonders auch im «Mostindien» genannten Thurgau. Denn bis 1950 war die Agroforstwirtschaft – also Einbezug von Bäumen, Sträuchern, Hecken und Gräsern in der Landwirtschaft – der Normalfall. Also ist auch hier – zum restlichen Desaster – wertvolles Wissen verloren gegangen.

Als Kind und Jugendlicher, der sich noch an die explodierende Blütenpracht im Frühling bei Familienausflügen oder den Zugfahrten ins damalige Lehrerseminar Kreuzlingen erinnert, habe ich diese Ausreissaktionen teilweise mitbekommen. Und schon damals überhaupt nicht verstanden. Es war ein trostloser Anblick: Überall lagen mitsamt der Wurzel ausgerissene und zersägte Bäume herum. Niemand konnte mir die Gründe plausibel erklären. Es klang, als müsse das so sein, als gebe es keine Alternative. Auch heute noch sind mir persönlich die faszinierenden Bäume tausendmal lieber als die natürlich pflegeleichteren, maschinenbearbeitbaren Niederstammkulturreihen.

Frühlingsgruss vom Hochstamm in Unterstammheim.

Wie wir heute wissen, handelt es sich bei der Hochstammvernichtungsaktion um einen der vielen menschlichen Fehler, die aufgrund blinden (!) Fortschrittsglaubens, tunnelblickigen Rationalisierungsdenkens und besserwisserischer Arroganz das Gegenteil des Gutgemeinten bewirken. Und natürlich waren die damals überall vertretenen Militärköpfe wesentlich daran beteiligt. Nicht nur ich stelle mir die Frage: Wie, zum Teufel, konnte man bloss einen solchen Biodiversitätsreichtum und so wertvolle Bäume mutwillig zerstören? Um deren kühlende und wasserspeichernde Wirkung hätte man damals durchaus schon wissen können. Aber eben: «Bauern und Naturschützer wurden als ‹sentimentale Knorzi› belächelt», schreibt Franco Ruault. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob es heute so anders ist.

Begonnen habe das Ganze mit dem vom damals rein männlichen Abstimmungsvolk mit klarem Ja angenommenen Alkoholgesetz 1930, das zwar die Gesundheit vorschob, aber steuermotiviert war. Ja, das liebe Geld! Dabei lieferte ein «Obstbau-Papst» namens Hans Spreng mit seiner Broschüre «Der Obstbau wie er ist und wie er sein sollte» die Steilvorlage. Statt Brenn- und Mostobst sollten edle Tafeläpfel in aufgeräumten Plantagen produziert werden. Der Umbau-Prozess harzte, ging ins Geld, bis Männer mit militärischem Ordnungssinn, Machtinstinkt und fanatischem Eifer die Sache entschlossen vorantrieben.

Vorher: Oberhofen bei Lengwil TG 1938. (Bild: «Baummord», Franco Ruault)
Nachher: Oberhofen bei Lengwil TG 1975. (Bild: Staatsarchiv des Kantons Thurgau)

Zum Obstbau-Papst Spreng gesellte sich im mostindischen Thurgau ein «Obstbau-Stratege», von dem es auf diegruene.ch heisst: Der «Obstbau-Papst» brauchte jemanden, der seine Visionen mit der gleichen Radikalität umsetzte, einen «Obstbau-Strategen». Er fand diesen in Gustav Schmid Senior, ehemaliger Lehrer an der Landwirtschaftlichen Schule Arenenberg TG. Ehemalige Schüler erinnern sich an dessen Strenge. So drohte er ihnen beim winterlichen Turn-Unterricht im Freien: «Wenn i no einmal gseh öpper in Schnee seiche, denn nimm i d Hippe (ein Bogenmesser zum Baumschneiden) und hau em grad de Pömpl ab!»

Das war also auch so ein altbachener Lehrer, wie wir sie noch kannten, die heutzutage als skandalös gälten. Verbale Gewalt als Erziehungsmittel, in meinem Fall auch physische. Angst bewirkende, aufgeprotzte Autorität statt förderndes Vertrauen. Ganz wie unser im Dorf angesehene Seklehrer, der die Mitschülerin mit Nachnamen Klee immer wieder grundlos «Chleechueh» nannte, schmerzhafte Kopfnüsse hinters Ohr verteilte, wegen Tüpflischisserfehler stundenlang mühsam geschriebene und gezeichnete Blätter zerriss, sodass man sie zusammen mit dem neu erarbeiteten Stoff noch einmal zu schreiben und zu zeichnen hatte; die verschiedenen Titelgrössen immer mit Vorzeichnen und Ausziehen mit Tusche und Redisfeder. Im Werken prätschte er mir einmal das falsch bearbeitete Brett um den Grind, ohne dass irgendjemand ausser mir aufbegehrt hätte. Es hiess höchstens, dass er wohl einen Grund gehabt hätte.

Nichts von solch zweifelhaften Volksbildhauern half mir bei der Erkenntnis, dass ich keine zwei linken Hände hatte. Oder irgendwas gut könne. Im Gegenteil. Rabenschwarze Pädagogik und Machtmissbrauch. Nein, früher war gar nicht alles besser, als Pfarrer (mit denen hatte ich auch immer Probleme, ohne genau zu wissen, warum) und Lehrer noch unangefochtene Gemeindeautoritäten waren. Und auch die gut gedüngte Säuhäfeli-Säuteckeli-Politik trieb munter Blüten: Wie Hans Spreng Senior in Bern «vererbte» auch Gustav Schmid Senior 1961 sein Amt an seinen Sohn Gustav Schmid Junior. Noch eine Dynastie im Schweizer Obstbau. 1961 – das Jahr meiner Geburt.

Nicht nur gegenüber dem Klima unfreundlich: Kettensägenmassaker unter Obstbäumen. (Bild: Mosterei Möhl AG)

Teilweise wurden gar Bäume gesprengt: Eindrücklich auch die Berichte der damals noch jungen Beteiligten. Einer schildert, wie Baumriesen mit Plastiksprengstoff zerstört wurden, der «viel stärker als Schwarzpulver» war. «Da ist alles voll zersplittert und weggeflogen, das Holz hast nachher nicht mehr brauchen können.» Das war «wie im Krieg». Der enorme Druck habe bei einem Haus eine Wand herausgeschlagen, Türen weggerissen. Die Baummord-Aktion führte auch zu Meinungsverschiedenheiten und Streit in den Bauernfamilien: Doris Keller berichtet von einem wochenlang andauernden Ehekrach zwischen ihren Eltern, der sich um einen über hundertjährigen Mostbirnbaum auf dem elterlichen Anwesen drehte. Er kam dann auch weg. «Wir Frauen hatten ja nicht einmal ein Stimmrecht und zuhause sowieso gar nichts zu sagen.»

Noch ein letztes Zitat von Hans Steiger, der das besagte Buch als «eins der auf- und anregendsten Sachbücher seit langem» bezeichnet: Vielfach vertieft wird dieses Grübeln beim Lesen des Buches. Angesichts bedrängender Klima- und Umweltprobleme empfehlen Ökologiefachleute heute nämlich ausgerechnet eine «Agroforstwirtschaft», die der über Jahrhunderte praktizierten Durchmischung von Äckern mit hohen Obstbäumen, Sträuchern, Hecken und Grasflächen gleicht. «Früher hiess das Feldobstbau.» Der hatte besonders im Thurgau die traditionelle Landwirtschaft und so die Landschaft geprägt. «Mostindien» blieb als Etikette, vom «Obstbauparadies» jedoch wenig. Stramm kompakte Niederstamm-Plantagen und weite, hindernisfreie Flächen passten besser zur maschinell agroindustriellen Welt.

Auf hochstammsuisse.ch kann man das heutige Hochstammland Schweiz und die Vorteile der Obstsorte des Jahres 2022 erkunden – Niederhelfenschwiler Beeriapfel.

Im Hopfengarten werden die letzten Pflanzen an die Steigdrähte geführt

Warten auf den nächsten Einsatz: Die Scheune mit der Pflückmaschine.

Vorbei an der Holzscheune, in der die Pflückmaschine auf ihren nächsten Einsatz wartet (hier gehts zum Bericht «Trockener Sommer – Hopfenernte eher bewölkt»), trotte ich gemütlich in Richtung der von weitem sichtbaren Hopfengärten. Im kleineren treffe ich auf Brigitte Reutimann, die mit ihrem Helferinnen-Team grad die letzten Hopfenpflänzchen im Uhrzeigersinn an die gespannten Steigdrähte führt (hier gehts zum Bericht «Im Uhrzeigersinn gen Himmel»). Ein alljährlicher Knochenjob über mehrere Tage: Abhocken, Pflanze an den Draht führen, aufstehen, bei der nächsten Pflanze abhocken und so weiter. Ächz! Stöhn! Knorz!

Dort hinten ragen die Hopfenstangen gen Himmel.

Beim Nachbarn hängen die Drähte noch lose herab, er ist also im Verzug. Im letzten Jahr sei die Hopfen-Ernte sehr gut gewesen, während die Reben nicht viel hergaben, sagt Brigitte Reutimann. Ein feuchter Sommer wie der letzte sei eigentlich für die Hopfenpflanzen kein Problem. Schlimm sind Stürme, die ganze Hopfengarten flachlegen können, und zu grosse Hitze. Dieses Jahr verlaufe bisher eigentlich tipptopp. Ja, in der Besenbeiz – obwohl offiziell erst ab Mai offen – bekomme ich sicher ein Bierchen. Ich soll einen Gruss aus dem Hopfengarten ausrichten. Sie komme nach Abschluss der Arbeit auch bald herüber, um dann später im Büro weiter zu malochen.

Wohlbehutet, denn die Sonne brennt schon beträchtlich: Brigitte Reutimann mit Helferinnen beim Heranführen der letzten Hopfenranken an die Steigdrähte. Aufstehen, absitzen, aufstehen, absitzen: Die Arbeit sieht gemütlicher aus, als sie ist.

Gehopft wie gesprungen: Grün ist die Hoffnung

Der grosse Hopfengarten in der Nähe des Hofes wirkt sauber aufgeräumt, das Heranführen an die Steigdrähte ist für dieses Jahr erledigt.

Die sogenannt rechtswindenden Schlingpflanzen aus der Familie der Hanfgewächse sind zwar jetzt mehrheitlich noch klein, bald aber werden sie sich mit einem atemberaubenden Tageswachstum von bis zu 30 Zentimetern hochgerankt haben auf 7 Meter. Nutzen wir die Gelegenheit, um mal die Herkunft des Wortes Hopfen zu ergründen. Sie ist unklar, zwar. Aber das fast alles erklärende Wikipedia (und auch Grimms Deutsches Wörterbuch) vermutet: Herkunft des Wortes Hopfen: Frühneuhochdeutsch: Hopfe, mittelhochdeutsch hopfe, althochdeutsch hopfo, vielleicht zu hüpfen, weil von Ast zu Ast hüpfend.

Einige sind schon grösser, andere noch eher mickrig.

Der lateinische, also wissenschaftliche Name Humulus lupulus erinnert mich als Nichtlateiner – ich war leider zu faul, um Latein zu lernen und bereute das später – an den bekannten Satz homo homini lupus, was soviel heisst, wie: der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Das sei ein abgewandeltes Zitat aus dem Werk Asinaria (Eseleien) des römischen Komödiendichters Plautus (* um 254 v. Chr. ; † um 184 v. Chr.) und heisse im Original lupus est homo homini, non homo, quom qualis sit non novit (= ein Wolf ist der Mensch dem Menschen, kein Mensch, solange er nicht weiss, welcher Art der andere ist). Also packen wir uns immer mal wieder selbst am Schlafittchen und halten uns ganz ohne klugscheisserisches Studiertenlatein an den ungestümen Wachstumsdrang der beruhigenden Hopfenpflanzen und ihr lebensfrohes Grün-ist-die-Hoffnung-Grün.

Das Wort Grün kommt laut meinem Symbollexikon vom altenglischen Wort growan, was soviel heisst wie wachsen; mit Grün bedecken. Eben: Grünen. Grün senke auch den Blutdruck und erweitere die Gefässe, hat also eine wohltuende Wirkung auf unser Gemüt. Dass man noch grün hinter den Ohren sein kann, bedeutet, dass Grün auch unvollendet, im Wachsen begriffen bedeuten kann; man rufe sich das Greenhorn und den Grünschnabel in Erinnerung.

Der Name Humulus sei vermutlich die lateinisierte Form der germanischen Bezeichnung humilo, hymele, humili, die sich wiederum alle vom aus dem Ural stammenden qumlix ableiten. Der Zusatz lupulus soll tatsächlich von lupus = Wolf herrühren, vielleicht weil der Hopfen, wie der Wolf sich in seine Beute verbeisst, sich in Sträucher, Stangen und Drähte hineinwindet. Danach hält die weibliche Blütenpflanze inne und bringt die unscheinbaren Blüten mit all den Zauberkräften des einzigartigen Lupulins hervor.

In dieser Biertankstelle lässt sich trefflich tanken

Klick-klick!, ein paar Pflanzenbilder hier und einige im grossen Hopfengarten, dann sitze ich schon im friedlichen Garten der Bier-Tankstelle vor einem zitrus-hopfigen Ale, dem leichten Sommerbier im Offenausschank. Es ist eins der drei neuen Stammheimer Hopfen-Biere. Der Hut tragende Hopfenbärtige auf der Etikette erinnert mich an die beiden Bartlis von ZZ-Top; der bartlose Schlagzeuger heisse ja bekanntlich Beard und habe darum keinen, sagt Billy Gibbons in einem Dok-Film über ihr haariges Markenzeichen.

Die neue Hopfentropfen-Zeitung soll aufs Bier- und Hopfenfest fertig sein.

Ich habe mir vorgenommen, zwei Hopfenpflänzchen für meinen Balkon zu kaufen. Und das tue ich auch: mit einem Töpfchen Cascade und einem Opal tanze ich später ab. Deren Triebe sollen sich möglichst schön hochranken, wunderbar aussehen und duften sowie möglicherweise auch ein bisschen grüner Sichtschutz sein und ein wenig vor der schrillen Abendsonne schützen, die manchmal von Dach- und andern Fenstern blendet. Eine englischsprachige Kundin hat neben mir ebenfalls ihre Exemplare ausgesucht. Sie habe einmal eine Führung auf dem Hopfentropfenhof mitgemacht und diesen wunderbaren Duft der Pflanze nicht mehr vergessen. Nun will sie also mal Erfahrungen sammeln mit Wachstum und Pflege und später dann auch Bier brauen. Nein, das Brauen überlasse ich gern andern.

Beim Jubiläumstrio in der Mitte tragen alle drei Bärte: Stammer Ale Cascade Citrus, Pale Ale Hallertauer Blanc und IPA Mandarina.

Aber davor nehme ich noch ein-zwei offene Ales und ein «normales» Stammheimer Hopfenbräu. Dazu zaubern mir die drei Küchenfeen einen Teller mit Hopfenwurst und Härdöpfelsalat. Sie sind die ganze Zeit über kaum zu sehen, da sie in der Küche viel zu tun haben. Derweil braut Markus Reutimann mit einer Gruppe Bier. Einige Leute kaufen im Shop ein und geniessen dann im beschaulichen Gärtchen die gut erträgliche Leichtigkeit des Seins, das angenehme Wetter und den weiten Himmel über dem Kopf.

Dann und wann schauen die Katzen vorbei, eine davon mit erbeuteter Eidechse. Sind sie weg, beobachtet mich ein nervöses Vöglein mit spitzem Insektenfresserschnabel beim Recherchieren im Laptop und düst wieder ab. Markus schenkt mir in einer Braupause noch ein Bier aus, gibt mir noch zwei Fläschchen mit auf den Weg, die ich am nächsten Tag probiere. Sie schmecken, aber das Ale mit seinen 6% ist mir halt schon eine Runde zu stark. Als ich bezahle, kommt die Braugruppe zurück, um wie ich zuvor Kartoffelsalat und Hopfenwurst zu geniessen. Das Bier dazu dürfte noch nicht das frisch gebraute sein.

Hopfen kommt wahrscheinlich wirklich von Hüpfen: Magisch angezogen sprangen meine Pflänzchen die nächstgelegene Rankmöglichkeit an. Die Cascade links hat die Knospe vorn.

Zurück in die Zukunft – vorwärts zu den Wurzeln

Die inzwischen auf meinem Balkon sich rankenden Hopfenpflänzchen bestätigen das oben erwähnte Hüpfen. Sie schlingen sich, kaum eingetopft, schlangengleich um alles, was sich dazu anbietet. Im Moment hat die Cascade die Knospe vorn. Es ist tatsächlich eine Art quicklebendiges Hüpfen. Und schon am ersten Tag rast sie rund 10 Zentimeter in die Höhe. Man kann ihr also quasi beim Wachsen zusehen.

Markus Reutimann hat mir für die beiden Hopfenpflänzchen empfohlen, ihren Wurzeln möglichst viel Raum zu geben: «Was oben herauskommt, ist unsichtbar im Boden. Wenns nicht in die Tiefe geht, gehts in die Breite.» Und so fällt mir ein weiterer Dok-Film mit hoffnungsvollen Szenen ein: «Weltretter Wurzeln» beschäftigt sich mit dem unsichtbaren Teil der Pflanzen, den viel zu lange vernachlässigten Wurzeln. Eine Forscherin sagt: «Sie sind der Anker, der alles festhält, was auf der Erde wächst. Ohne diese Vegetation könnten wir nicht auf der Erde leben.» Auf der Suche nach neuen Wegen kommen also immer mehr Landwirte und Wissenschaftler auf die Wurzeln und ihr unterirdisches Wirken. Auch da fragt sich: Warum erst jetzt?

Werden und Vergehen: Hopfenpflanzen können bis zu 50 Jahre alt werden, treiben also jedes Jahr von neuem aus.

Da ist beispielsweise der Wissenschaftler von seedforward, der einen Cocktail aus Pflanzenextrakten und Mikro-Organismen zusammenstellt, um die Wurzeln ohne Chemiekeule effizienter und die Pflanzen resistenter gegen Krankheiten zu machen. Oder das Forscherteam, das Pflanzen zu Minenarbeiterinnen machen und mittels «Phytomining» Seltene Erden – die eigentlich Seltenerdmetalle heissen müssten und gar nicht so selten sind, sondern fast überall vorkommen, nur nicht in grossen Mengen – aus Pflanzen gewinnen will, um die Welt so von zerstörerischen Rohstoff- und Bergbau-Abhängigkeiten zu befreien.

Einer der Forschenden träumt sehr optimistisch davon, dass seine Tochter irgendwann ein Smartphone in der Hand hält, das Rohstoffe vom Feld ganz ohne Umweltzerstörung enthält. Und da ist auch der Biologe, der sagt: «Wenn man es genau überlegt, ist es so, dass der Mensch ohne Wurzeln nicht überlebt.»

Back to the future, forward to the roots! Wer weiss, vielleicht fängt da das Gelingen der vielbeschworenen Zeitenwende im Landwirtschaftsbereich an – bei den strotzgsonden Wurzeln im Teamwork mit ihren wunderwirkenden Kleinstlebewesen (dazu s. auch: Paläobier in gesalzener Holobiontenkacke – der grosse Jahrtausende-Rückblick in die Zukunft). Immerhin wären Hopfen und Malz ohne die winzigen helfenden Hefezellen ordli verloren – und wer gern ein frisches Bierchen trinkt somit auch. So hängt alles mit allem zusammen.

Prost!

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