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Ein Sommerabend auf dem Kabier-Hof

Auf dem Hof Blindenau essen die Rinder Treber aus der Brauerei und erhalten eine Biermassage. Ausserdem wächst Brauweizen. Nur nicht in diesem Jahr. Dafür ist dieses Jahr Simon Enzler zu Gast am Sommerfest. Und das macht seinem Namen alle Ehre.

Sepp Dähler und seine Kabier-Rinder sind schweizweit bekannt. Star-Gastronomen im ganzen Land servieren die mit Biervorlauf massierten Fleischstücke auf ihren exklusiven Tellern. Das Interesse an den Produkten vom Hof Blindenau zwischen Stein AR und Haslen AI ist ungebrochen. Angefangen hat es – wie so vieles im Appenzellerland – mit einer Idee.

Mit Brauweizen fing alles an

1996 suchte die Brauerei Locher einen regionalen Landwirt, der Brauweizen für das Appenzeller Weizenbier anbaut. Sepp Dähler hatte soeben den elterlichen Betrieb übernommen und lies sich von der Philosophie und Begeisterung von Karl Locher anstecken. Der Rest ist Geschichte. Nun wächst seit fast 30 Jahren Weizen auf dem Hof von Sepp Dähler, die Rinder werden mit Nebenprodukten der Bierproduktion gefüttert: Der Kreis schliesst sich. Die höhere Lage und die härteren Umweltbedingungen lassen das Getreide langsamer wachsen. Der Weizen wird dadurch kräftiger und stärker im Geschmack. Ganz so, wie die Braugerste aus dem Bündnerland. Die Brauerei Locher hat deren Anbau ebenfalls Mitte der 1990er Jahre zurück in die Schweiz geholt und ist die grösste Abnehmerin von Bündner Braugerste.

Zurück ins Appenzellerland, zum lauschigen Hof Blindenau, wo ich an einem heissen Augusttag vergeblich Ausschau nach dem Weizenfeld halte. Sepp erklärt, dass es der Fruchtfolge geschuldet sei, dass ausgerechnet in diesem Jahr kein Weizen, sondern Mais auf dem Feld spriesst. Für die Tiere, nicht für Bier. Wobei: Was noch ist, kann ja noch werden, oder?

Ein perfekter Sommertag

Es ist ein besonderer Tag im Kabier-Jahr, den ich mir für meinen Besuch ausgesucht habe. Denn einmal im Jahr veranstalten Sepp und Magdalena Dähler ein Sommerfest. Es ist ein Dankeschön an die Kundinnen und Kunden und an den Förderverein, den Dählers ins Leben gerufen haben. Kundenpflege, Interessierten den Hof zeigen und ihnen die Philosophie noch näherbringen – das alles steht heute im Zentrum.

Die Scheune ist leergeräumt und geputzt, es stehen Festbänke und eine kleine Bühne bereit. Sie wird heute Abend von Simon Enzler bespielt. Zum dritten Mal, wie mir der Kabarettist später verrät. In anderen Jahren war Philipp Langenegger zu Gast oder das Hoftheater, eine Gruppe von Schauspielern, die ein Stück auf verschiedenen Höfen aufführen. Auch der Hofplatz sieht anders aus als sonst: mit Blumen geschmückte Tische stehen bereit, Helferinnen und Helfer der Metzgerei Breitenmoser richten das Buffet ein. Auf der Wiese unter einem Kirsch- und einem Apfelbaum mit majestätischen Kronen macht sich das Team des Hof Weissbad bereit. Das Publikum konnte bei der Reservation nämlich wählen zwischen Grillbuffet und einem Dinner vom Hof Weissbad, selbstverständlich spielt Kabier-Fleisch bei beiden Varianten die Hauptrolle.

Sie wissen einfach wie man’s macht

Ebendiese Kabier-Rinder trotten unbeeindruckt vom emsigen Treiben durch den offenen Stall und grasen auf der Weide dahinter. Nebenan wühlen Säuli munter quiekend im Dreck, Geissen lugen frech hinter einer Stallwand hervor, Lämmer zotteln dem Schatten entlang. Ein Appenzeller Idyll, das viele Menschen begeistert, denn mittlerweile Treffen die Gäste ein, holen sich ein erfrischendes Getränk, suchen sich einen Schattenplatz und kommen miteinander ins Gespräch. Nebst Ausserrhoder Politikern und ein, zwei bekannten Appenzeller Gesichtern sind es hauptsächlich Fans aus Zürich, Bern oder weiter weg, wie ich aus den gehörten Dialekten und beobachteten Autonummern schliesse. Sepp bestätigt: Seine Kundschaft komme eher von weiter weg, nicht aus der Region. Ich vermute, der Appenzeller Charme und die Geschichte von Kabier gerade in urbanen Gegenden auf fruchtbaren Boden treffen.

In persönlichen oder belauschten Gesprächen erfahre ich, dass viele Anwesende den Besuch bei Dählers mit einem Appenzeller Wochenende verbinden. Einige überlegen, am nächsten Tag zum Seealpsee zu laufen, «weil’s da so urtümlich schön ist». Andere schätzen die Auswahl der Läden in Appenzell und «die Zeit, die man sich hier für die Beratung nimmt». Allgemeines Nicken: «Die Appenzeller wissen einfach, wie man’s macht.»

Sepp Dähler weiss ebenfalls «wie man’s macht»: Kabier ist eine weitere Appenzeller Erfolgsgeschichte. Dieser Erfolg ist Sepp jedoch nicht zu Kopf gestiegen. Leidenschaftlich und begeistert, aber ebenso bodenständig und dankbar erzählt er auf der öffentlichen Hofführung die Geschichte von Kabier.

Ein bisschen Glück und die richtigten Partner

«Ich habe Glück gehabt, hatte zur richtigen Zeit die richtigen Partner und die Gunst der Medien.» 1999 startete das Projekt Kabier. Neben Karl Locher und Sepp Dähler war Christian Lienhard, CEO vom Hof Weissbad, eine treibende Kraft in den Anfangszeiten. Ihren Köpfen ist die Idee entsprungen, eine Appenzeller Variante des japanischen Kobe Beef zu machen.

Das grosse Medienecho und das Interesse von Gastronomen in der ganzen Schweiz hat dazu geführt, dass Sepp Dähler seinen Milchwirtschaftsbetrieb nach und nach reduziert hat und vor acht Jahren ganz damit aufgehört hat. Er konzentriert sich nun auf seine Kabier-Rinder, die Weidesäuli und -lämmer. Mittlerweile hat er 50-60 Rinder, die auf seinem und einem benachbarten Hof grasen. Sie erhalten unter anderem Malzspelzen und Treber als Futter, werden täglich mit Biervorlauf und -hefe massiert und können währenddessen zwischen Wasser und Biervorlauf zum Trinken auswählen. «Solange es Bier hat, trinken sie Bier, dann wechseln sie halt aufs Wasser.» Würden wir ja auch so machen. Allerdings sind Menschen dann meistens beschwipst. Wie sieht es bei den Kühen aus? Das wollte Sepp Dähler auch wissen und hat das Blut der Rinder testen lassen: 0,0 Promille. Das müsste uns Menschen mal passieren! «Da müssten wir auch acht Stunden am Tag wiederkäuen, wie die Kühe», lacht der Landwirt. Denn laut Tierspital Zürich sind es die Mikroorganismen im Pansen (Magen), die den Alkohol so verlässlich abbauen.

Sepp Dähler ist in seinem Element, wenn er von seinem Betrieb und seiner Philosophie erzählt. Seine Tiere und sein Hof liegen ihm sichtlich am Herzen.

Karl Locher als Antrieb

Die Rinder sind meist Kreuzungen: Die Mutter ist eine Braunviehkuh, der Vater ein Limousin-, Angus-, Wagyu-, Aubrac-, Charolais- oder ein Eringerstier. Das sorgt für den «Heterosieeffekt», also für Blutauffrischung, wie ich an diesem Abend lerne. Die Rinder sind dadurch robuster. Mir gefallen die verschiedenen Fellfarben, die das pralle Sommersonnenlicht einfangen. Diese glänzenden, gepflegten und durch die Massage sehr hochwertigen Felle werden nach der Schlachtung der Tiere weiterverarbeitet. Kunsthandwerker in Appenzell, Criz Lederwaren und die Sattlerin Maja Inauen fertigen daraus Taschen, Pantoffeln, Kissen und weitere Produkte, die im Shop erhältlich sind.

Sepp Dähler bringt den Anwesenden seine Philosophie noch näher.

Möglichst viele Nebenprodukte verwerten, Ressourcen schonen, einen Kreislauf bilden: Diese Ideale verfolgt auch die Brauerei. Zufall? Sepp Dähler sagt dazu:

Karl Locher war ein grosser Antrieb. Als junger Landwirt mit neu übernommenem Betrieb war ich auch sehr offen, mal was auszuprobieren. Zuerst dachte ich, Kabier sei ein Nebenerwerb, ein Nebenprodukt zum Milchwirtschaftsbetrieb, dann sah ich, was möglich ist. Irgendwann fing ich an zu überlegen, wie möglichst viel vom Tier verwertet werden kann, wie ich möglichst wenig wertvolle Nebenprodukte verwerten kann. Nun stehen wir da, wo wir sind.

Seit einem Jahr ist der Hof Blindenau nochmals ein Stück naturnaher, auch beim vielleicht unangenehmsten Teil: Die Schlachtung erfolgt mittlerweile direkt auf dem Hof. Das reduziere den Stress für die Tiere grad nochmals. Da der Schlachthof im nahen Steinegg steht, können die strengen Auflagen für Hofschlachtungen eingehalten werden.

Ich frage Sepp, ob es nicht sehr anstrengend sei, das Ideal des «nose-to-tail», der Kreislaufwirtschaft und des naturnahen Betriebes so konsequent zu verfolgen. Er zögert nicht lange mit der Antwort:

Ja, wir stecken sehr viel Energie rein, aber es kommt auch viel Energie zurück. Ich spüre, dass es unseren Tieren gut geht. Für mich hat seit Kabier der Beruf als Bauer enorm gewonnen. Als traditioneller Landwirt produzierst du, lieferst und siehst dann eigentlich nichts mehr vom Produkt. Mit Kabier ist das anders: Ich kann die Ergebnisse meiner Arbeit weiterverfolgen, sehe, wo das Fleisch hinkommt, sehe die Leder- und Fellprodukte, habe direkten Kontakt zu den Kunden. Es ist extrem befriedigend.

Auf dem Hof Blindenau wächst mittlerweile die nächste Generation Dähler heran, alle vier Söhne helfen an diesem Abend mit. Der Zweitälteste studiert Agrarwissenschaften und denkt mit seinem Vater über eine Möglichkeit nach, durch die Verwendung von Pflanzenkohle als Streuzusatz und im Boden mehr CO2 zu binden und so den Methanausstoss zu verringern. Mit diesem Blick in die Zukunft beendet Sepp die Hofführung, das Essen sei nun bereit. Wir begeben uns zu Tisch und ich geniesse ein himmlisches Pulled Beef mit Bohneneintopf vom Feuer. Neben mir sitzt Simon Enzler, ebenfalls sichtlich zufrieden mit dem Essen.

Für ihn ist es nicht nur die Qualität des Fleisches, die überzeugt: «Es ist auch hier eine grossartige Geschichte, die hinter dem Produkt steckt, wie bei der Brauerei und anderen Appenzeller Marken auch.»

Eine Geschichte, die sicherlich noch nicht fertig geschrieben ist.

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Zum Blog-Beitrag meines Kollegen alp von 2020

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