Quöllfrisch unterwegs bei der Obstlese in Büriswilen und Walzenhausen
Der Hof von Paul und Margrit Federer in Büriswilen thront traumhaft über dem Rheintal. Die beiden gehören zur IG Appenzeller Obst, die den Most fürs Bschorle liefert. Sie können sich heuer nach einem mässigen und einem saumässigen Jahr höchstens über zuviel Arbeit beklagen – kaum aber über die üppige Ernte.

Am 12. September reite ich auf Quölli von Heerbrugg SG nach dem zur Gemeinde Oberegg gehörenden Büriswilen AI. Ein Traumtag, wettermässig. Nach Berneck gehts steil bergan. Aber mit Quölli unter dem Füdli bin ich im Nu bei den Federers angelangt. Dort trifft Paul schon die Vorbereitungen für die nachmittägliche Obstlese. Margrit serviert mir einen Kaffee und Guetzli. Ich bevorzuge die Dörrbirnen. Die Federers sind übrigens durchaus verwandt mit dem weltberühmtesten Schweizer Tennisspieler aller Zeiten.

Margrit brennt auch Schnäpse. Das hat sie von Pauls Onkel Karl Federer gelernt. Sie ist bekannt für feine Destillate aus Kleinmengen und garantiert, dass sie ihre Kund*innen mit dem indivduellen Schnaps aus ihrem gelieferten Brenngut beglückt. Ab 15 Kilo. Auch einer meiner ehemaligen Seklehrer gehört zu ihren Stammkunden. Heidens inoffizieller Kultusminister. Schon lange her. Er bringe jeweils Traubentrester. Der Esel im Schatten unter dem Baum widerlegt seinen immer wiederholten Spruch: Nur Esel und Menschen begeben sich ungeschützt an die Sonne. Er sei 34 Jahre alt und müsse genau einmal im Jahr arbeiten: Am Samichlaustag. Ein schlauer Kerl, gell.

Am Morgen (oder am Vortag?) haben die Federers Thurgauerli eingesammelt. Das sind teilweise walnussgrosse Birnchen, extrem mühsam zum Auflesen. Die müssten doch Appenzellerli heissen, die Thurgauer hätten doch nur lange Finger, witzle ich. Margrit Federers persönliche Spezialität ist ein Kräuterschnaps. Schnaps und Nescafé wirkten auch bei Verdauungsproblemen ihrer Kühe immer wieder Wunder, erzählt sie. Dank dieser Hausmedizin braucht der Tierarzt nur in gravierenden Fällen gerufen zu werden.
Der alte, proppenvolle Apfelbaum
So um halb zwei Uhr machen wir uns auf nach Walzenhausen, wo ein prächtiger alte Apfelbaum darauf wartet, geschüttelt zu werden. Brechend voll hängen die roten Äpfel an seinen Ästen. Am nächsten Tag werden hier die Rinder von der Alp Einzug halten. Per Lastwagen werden sie hergefahren. Ich fahre auf Quölli hinter Pauls Traktor her und hole mir dann vor dem Baum als erstes einen nassen Fuss aus einer Sumpfstelle, die ich aufgrund der höher stehenden Sumpfpflanzen hätte als solche erkennen können. Im Lehrerseminar siezte mich mal ein Lehrer, nicht wohlwollend gemeint, mit: Sie Esel, Sie! Aber eben: Esel sind niemals so dämlich, wie der Mensch meint. Welcher Mensch auch immer.













Sammelstelle Walzenhausen
An dieser Stelle machen wir einen Schnitt und fahren zur Sammelstelle in Walzenhausen, wo die Mitglieder der IG Appenzeller Obst immer am Mittwochabend ihre Äpfel und Birnen anliefern, um sie dann von einem Chauffeur zur Mosterei Kobelt in Marbach SG transportieren zu lassen. Das Förderband steht am Ladecontainer für Äpfel. Ein englisches Paar hat seinen Camper parkiert und verfolgt begeistert das bunte Treiben der starken Männer (nur einige starke Frauen sind da). «You got very nice traditions here in Switzerland», sagt der Mann im Rock. Vielleicht war er ja auch Schotte. Ein bunter Haufen der unterschiedlichsten Traktor- und Wagenmodelle fährt beladen vor und leer wieder weg. Wagenladungen, Baggerschaufeln, Harasse und Säcke werden ins Förderband geleert. Alle anwesenden Obstbauern helfen einander. Im Gegensatz zum kläglichen letzten Jahr bekommt man heute mehr als eine Ladung zusammen. So lässt einer seinen Anhänger stehen, damit der Chauffeur ihn am nächsten Morgen zum Entleeren bringt. Man muss flexibel sein – als Bauer und als Blogger.













Auf zur Mosterei Kobelt
Nächster Schnitt. Ich schwinge mich in den Sattel und rase auf Quölli in Windeseile rüber nach Marbach in die Mosterei Kobelt. Da waren wir schon letztes Jahr. Aber heuer müssen Vater Ruedi und Sohn Geoffrey Nachtschichten schieben. Sie lösen sich gegenseitig ab. Auf Instagram posten sie am 26. September: diese woche sind es schon 950 tonnen obst! wir laufen auf hochtouren und manchmal auch etwas auf den felgen. neben dem vielen saft ist vor allem auch immer die annahme eine freude und ein kleines spektakel. Ja, sappelot, was für eine Menge! Ist natürlich längst nicht alles von der IG Appenzeller Obst. Aber dieses Jahr wirds für einige Flaschen Bschorle reichen. Es räbelt sozusagen. Und es wird langsam dunkel.













Die Rückreise
Während Ruedi später einige Stunden Schlaf einzieht, übernimmt Geoffrey die Nachtschicht. Ich verabschiede mich. Quölli hat im Stehen ein bisschen geschlafen. Obwohl auch ich ziemlich müde bin, ist der Weg nach Zürich noch weit. Barrierefrei tuckern wir im Zug von Altstätten nach Buchs, wo der wunderbare Orient Express steht. Und während ich neidvoll die fliegenbewehrten Esser und herausgeputzten Esserinnen in den dämmrig erleuchteten Fenstern zweier Speisewagen vorbeiziehen sehe, bibbere ich dem für Velos reservationspflichtigen Railjet entgegen. (Ich dachte, kurzfristiges Reservieren gehe nicht. Aber der Kondukteur korrigiert: Das sei ein Österreicher, drum könne man gar nicht reservieren. Steht übrigens nirdends im Schweizer Tubelbilletautomaten. Nur eine nicht funktionierende Telefonnummer ist da angegeben. Zudem: Mit Velo müsste ich nach Ziegelbrücke und von dort in die S-Bahn.) Wer wird wohl auf der Fahrt nach Venedig wen ermorden, frage ich mich a.k.a. Hercule Poirot.

Endlich fährt auch der Railjet ein. Der Name klingt übrigens verheissungsvoller, als er ist. Immer wieder fällt der Strom aus, will heissen: warmes Bier, kalte oder keine Speisen, keine Klimaanlage. Und und und. Vom letzten Jahr weiss ich: Der Velowagen ist zuhinterst. Dort schaut niemand zu und ich wuchte das sich mit allen Pedalen und Ösen wehrende Quölli zweimal ansetzend in einen der vier leeren Schlachterhaken. 27 kg plus Satteltaschengewicht vor dem Haken. Satteltasche weg und hopp! Die treue Bikeseele wirds überleben. Ich auch. Trocken und gnädig vor Recht bemerkt der Kondukteur: «Sie haben Glück, dass heute kein Bike da ist, normalerweise ist jeder Haken belegt.»