Eine geheimnisvolle Digitalpapiereinladung von Stuntman Urs Inauen und seiner Frau Fabienne bringt mich nicht auf die Palme in L.A., sondern auf den Hohen Kasten, wo die Sonne lacht über dem Nebelmeer und die rotfüssigen Dohlen im blauen Himmel stuntmässige Kapriolen vollführen.

Schon am Morgen treffe ich auf einen, dem ich seit der Bloggerei immer wieder über den Weg laufe: Im Globus präsentiert Biobauer Renzo Blumenthal seinen Blumenthaler Käse und verschiedenes Trockenfleisch feil. Er gesteht mir, dass er lieber bei der Wahl der schönsten Kuh Swiss Classic in Brunegg wäre, als hier zu rumzustehen. Da dürfen nur die allerbesten Züchter ihr Schönheiten auflaufen lassen. Er werde um 16 Uhr sofort hinfahren. Ich hingegen werde am Nachmittag nach Brülisau und von da auf den Hohen Kasten zuckeln, um zu erleben, welcher Bär denn da zurückkehrt in den Alpstein.

Der Hohe Kasten. Ein Schicksalsberg in meinem Leben. Es war 1970, ich neun Jahre alt. Eine siebenstündige Wanderung, nach sechs Stunden plötzlich über 39° Fieber und ein steifes Bein mit bös geschwollenen Knie. So quäle ich blonder Schnuderi mich den supersteilen Weg bis zum Auto runter. Am nächsten Tag zum Tokter und sofortige Einweisung ins Kantonsspital St. Gallen zur Operation. Zehn Tage Aufenthalt und grauenhaftes Essen. Die Narbe am linken Knie ist über zehn Zentimeter lang. Ein winziger Splitter von einem Nadelöhr einer Nadel hat eine böse Entzündung verursacht. Wie das kam? Ich rase auf allen Vieren mit meinem Lamborghini Miura über den grünen Spannteppich und zack! Aua! steckt die verhängnisvolle Nadel tief im Knie. Die Höchchaschte-Wanderung folgte am nächsten Tag. Seither war ich nie mehr da oben. Bis am 30. November 2019. Sage und schreibe 49 Jahre. Ein halbes Jahrhundert. Hm. Nun steht da etwas von Drehrestaurant und so weiter. Ja, die Zeiten ändern sich.

In Zürich hängt der Bleideckel am Himmel. Ich fahre kurz nach 13 Uhr los. Nach Herisau die ersten Schneespuren. In der Talstation zeige ich meine Akkreditierung auf dem Handy und erhalte ein Ticket für die Luftseilbahn und einen quasi verpackten Stoffbären zum Aufbügeln. Die mit Filzstift geschriebene Nummer sei wichtig: 10. Wow! Grossartig, der Moment, wo wir aus dem Nebel ins Postkartenwetter gebeamt werden. In der Kabine hört man sagen: Mal schauen, was er jetzt wieder angeteigt hat, der Urs. Ich geniesse die laut Internet «ungehinderte rondom-Aussicht». Wer wohl auf solche Wortwendungen kommt? Der Wind will mir die unbekappten Ohren abbeissen. Dass die Dohlen nicht an die lustig roten Füsschen frieren, wundert mich.

Drinnen schnappe ich mir einen bärenlosen Brandlöscher und setze mich an einen Tisch, der sich langsam mit Menschen füllt. Beim Beobachten der Szenerie versuche ich auszumachen, wer nun der Gastgeber, Appenzeller Bierbotschafter und Hollywood-Stuntman Urs Inauen sei. Ich gebs zu: Ich lag falsch, bis mein Tischnachbar mir den richtigen Tipp gab. Und dass er weit, weit entfernt mit ihm verwandt sei.

Inauen wiederum sei ein Cou-Cousin von Roger Federer. Der habe ein wohlwollendes Begleitschreiben verfasst, das Inauen zu einer Greencard verholfen habe, als er 2013 sein Glück in Amerika versuchte. Im Film The Revenant sei es er, wenn Leonardo di Caprio jeweils Trampolin springe, lese ich in einem Artikel über den Stuntman. Seine berufliche Karriere startete er ganz unspektakulär als Sportartikelverkäufer und Kunstturner. Über die TV-Show Stunt Hero lernte seinen Mentor und Stuntman Oliver Keller dort kennen. Seither hat er in Hollywood viele Persönlichkeiten kennengelernt und mit einigen zusammengearbeitet. Eine wichtige Aufgabe von Stuntmen sei nebst dem ganzen Action-Hals-und-Beinbruch-Spektakel auch die Sicherung der Schauspieler*innen auf dem Set.

Heute aber gehts um in Portugal rahmengenähte Lederboots mit einem eingeprägten Bär, die Inauen zusammen mit seiner Frau Fabienne produziert: 2020 Boots für Männer und Frauen in Bru und DunklBru. Aber natürlich verpasse ich den Anfang seiner Einführung, da ich nach drei Brandlöschern unbedingt mal die Tankladung löschen muss.

Als ich zurück bin, kämpft der bei Stunts immer bis ins Detail perfekte Inauen grad mit den Tücken digitaler Technik. Es geht ja zum Glück nicht um Leben und Tod, gell. Auch mit Pannen gibts Lacher. Und am Ende läuft alles gut und flüssig. Natürlich muss ich auch mit einem Platz weit hinten Vorlieb nehmen, da die Leute vorne sehr gedrängt stehen. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Aber die Spots in Dialekt und Englisch bekomme ich voll mit.
Ein Blick auf die Uhr zeigt, wenn ich jetzt nicht die nächste Talfahrt erwische, bin ich mit bösen Wartezeiten erst um 23 Uhr wieder in Zürich. Dann hätte ich ein wunderbares Konzert von Howe Gelb und Giant Sand verpasst. Ich überlasse die Gesellschaft also guten Gewissens dem angekündigten, in London lebenden Lokalmatador Marius Bear und seckle zur Kabine. Läuft alles rund, im Postauto zur improvisierten Station Weissbad wird viel gelacht. Da fällt mir ein: vielleicht hätte meine Nummer 10 den Gewinn von einem Paar 2020 Boots bedeutet. Tja, wer zu früh geht, den bestraft das Leben. Hier noch die Website mit Infos und Kaufmöglichkeiten: 2020boots.rocks/shop.
