Quöllfrisch unterwegs in Zuzwil SG
Ein altes Pulverlöschfahrzeug der Feuerwehr Bischofszell wurde von Freiwilligen des Feuerwehrvereins – unterstützt von der Brauerei Locher – umgerüstet zum mietbaren DLF – Durst-Lösch-Fahrzeug. Nun fliesst Appenzeller Bier aus dem Hydranten Nr. 6.
Es sei gleich vorweggenommen: Auch wenn die CVP das umgerüstete Feuerwehrauto für den Chilbi-Einsatz gemietet und dekoriert hat, nehme ich keinerlei Partei. Es sind die Menschen – und das brandrote DLF –, die mich interessieren, bar jeder Couleur. Und natürlich das verbindende Element Appenzeller Bier. Die Hüte auf den Biertischen sind orange. Und so amüsiere ich mich über das brandrote Fahrzeug, mit dem hier für besagte Partei geworben wird. Die Farbe steht ja eigentlich für eine etwas andere Politrichtung. Das aktuelle Anliegen, für das Unterschriften gesammelt werden, kann ich allerdings nur befürworten: Kostenbremse im Gesundheitswesen – jetzt. Am gleichzeitig stattfindenden Eidgenössischen Schwingfest in Zug erschwingt sich der Zuzwiler Daniel Bösch einen Kranz.

Als ich so um 17 Uhr an der provisorischen Postautohaltestelle Zuzwil SG, Schule aussteige, ist von Chilbi nicht viel zu bemerken. Kaum Musik. Nur die orangen Umleitungswegweiser und die Park- und Fahrverbotsschilder weisen auf eine Veranstaltung hin. Ich habe das Gefühl, in einem 500-Seelen-Landdörflein gelandet zu sein und staune über Wikipedias Einwohnerangabe von 4586 im Jahr 2010. Ein erster Rundgang offenbart nebst diversen Verpflegungs-, Spiel- und Verkaufsständen von örtlichen Vereinen und Institutionen nur gerade zwei Chilbi-Bahnen: ein Kinderkarussell und eine wildere, die in unserer Zeit der Wetterextreme trefflich mit Wirbelsturm angeschrieben ist. Sie löst denn auch einiges Gekreische aus, das Anstürmen gegen die Schwerkraft scheint in die Gedärme zu gehen.

Weiter unten beim Dorfbach – er fliesst brav und schläfrig in seinem Bett – verweisen Tafeln eines sogenannten Ad Hoc Kommitees zur Rettung des Zuzwiler Dorfbachs darauf, dass man sich hinsichtlich der klimaveränderten Wirklichkeit gegen zukünftige Hochwasser wappnen will, aber nicht einer Meinung ist, wie das geschehen soll. Auf der Website von Zuzwil – lebendig – attraktiv ist zur Abstimmung am 20. Oktober zu lesen: Vor über vier Jahren trat der Dorfbach letztmals über die Ufer. Besonders betroffen war der untere Dorfteil. Damit Zuzwil und Weieren künftig möglichst von solchen Naturereignissen verschont bleiben, sollen die nötigen Schutzmassnahmen zeitnah realisiert werden. Die Gemeinde stellt sich kurz und bündig folgendermassen vor: Drei Dörfer – Zuzwil, Züberwangen, Weieren – in der Region Wil mit optimaler Verkehrserschliessung, vielseitiger Infrastruktur und herrlicher Landschaft mit Weitblick auf Alpstein, Churfirsten und Glarneralpen.

Beim Durstlöschfahrzeug der Feuerwehr Bischofszell herrscht noch die Ruhe vor dem Sturm. Peter aus Weieren lässt mir ein Bier aus dem umgerüsteten Hydranten – leider im Plastikbecher, aber bei 4 dl für 3 Stutz halte sogar ich meine Schnurre. Die Sonne haut voll rein, ich setze mich in den schützenden Schatten eines Schützengarten-Sonnenschirms beim – so glaube ich – TV Zuzwil. An den CVP-Tischen ists im Moment viel zu heiss.

Um 18.30 Uhr kommt Franz Eugster, der das DLF am Morgen hergefahren hat. Er ist in der Stützpunkt-Feuerwehr Bischofszell aktiv als Zugführer und kantonaler Instruktor. Zudem ist er Lehrer in der Nachbargemeinde Niederhelfenschwil. Und weil das DLF am gleichzeitig stattfindenden Stadtfest in Bischofszell aufgrund des dortigen Biervertrags nicht teilnehmen darf, hat Franz seinen CVP-Kumpeln den hiesigen Chilbi-Einsatz zugesagt.

Später klärt mich Peter darüber auf, dass die Gemeinde Zuzwil mittlerweile über 5`000 Einwohner zählt. Als die Kläranlage gebaut worden sei, waren es noch 1`500 und man habe befürchtet, dass die auf 3`000 angelegte ARA vielleicht zu gross sei. Mittlerweile sei man ein weiteres Mal daran, diese für die Zukunft zu rüsten. Um Mikroplastik und all die Stoffe, die man heutzutage im Wasser finde, herauszufiltern.

Sie seien sieben, acht Leute von der Feuerwehr, die das DLF umgebaut haben und jeweils begleiten. Pure Leidenschaft. Sie machen das nun seit rund sechs Jahren. Mieten kann das DLF, wer will. Die Preise sind fix, ein Mann ist immer dabei. Das Fass Appenzeller Bier kostet zur Zeit 70 Franken, den Becherpreis vor Ort legt der jeweilige Veranstalter fest. Inzwischen haben sich die Festbänke gefüllt und Franz und seine Helfer haben einiges zu tun. Man kennt ihn hier wie einen bunten Hund. Einmal mehr zeigt sich die anregende Wirkung eines guten Schlucks: Wo Appenzeller Bier fliesst kommen die Menschen miteinander ins Gespräch. Ein Chilbi-Besucher fragt: «Gibts hier Brandlöscher? Ein gutes Bier.» Das Lager ist ihm durchaus auch wöllkomm.

Peter kehrt aus der Zimmerstunde zurück und auch Reto gesellt sich zu unserer Dreier-Runde. Als das Gespräch mit den beiden auf Quöllfrisch kommt, schwärmen beide. Reto lobt die Brauerei Locher mit den guten Ideen und Produkten. Der Whisky gehöre zu den besten der Welt, auch sein in Australien lebender Bruder liebe ihn. Peter erzählt von seiner Kur in Gais nach einem Herzinfarkt. Da wusste er noch nicht, dass Gais zu Ausserrhoden gehört. Bei einem Ausflug nach Appenzell fragte er also den Fahrer, warum er denn kein Innerrhödler Autonummer habe. Wie aus der Kanone geschossen, habe der geantwortet: «Das ist Giftklasse E.»

Die Stimmung an der Zuzwiler Chilbi ist friedlich wie der Dorfbach. Um 20 Uhr mache ich mich auf den Rückweg. Auf dem Perron in Wil stehen die Menschen in Gruppen für sich, jede*r mit einem Leuchtbrettchen vor dem Kopf, darin versunken, als hätte eine Epidemie sie befallen. Während die Zuzwiler Chilbinacht wohl so richtig Fahrt aufgenommen und Hydrant Nr. 6 manch durstigen Kehlenbrand zu löschen hat, rolle ich im Speisewagen des IC5 vor einem Fläschchen Eidgenoss Richtung Zürich – Lausanne. Der Spätsommer legt sanft seine dunkle Decke übers Land.