Quöllfrisch unterwegs in Chur GR
Auf Wunsch der Brauerei Locher baut Gran Alpin im Bündner «Flachland» auch Winterbraugerste an. Fürs Gran Alpin-Bier, mutmasst der Betriebsleiter Andreas Stricker des zum Plantahof gehörenden Waldhofs in Chur.

Schon wieder Mittwoch, 28. Juni 2023. Wie die Zeit rast. Seit einer Woche werden die Tage wieder kürzer. Der Sommer hat grad erst richtig angefangen, schon steht die erste Braugerstenernte mit der kalten Jahreszeit im Namen an: Winterbraugerste auf dem Waldhof in Chur. Der Himmel über Zürich ist von einer grauen Wolkendecke überzogen. Lückenlos. Darüber drückt die Sonne. Ich vermute, dass sie in Chur scheint. In Ramsen SH sei am Montagnachmittag ein Gerstenfeld vor Ende der Ernte abgebrannt, lese ich online. Entzündet vermutlich durch Funkenschlag des Mähdreschers. Zum Glück blieben Dreiviertel der Ernte verschont. Auch das kann passieren.
Die Wintergerste reift im Sommer als erstes Getreide.

Die Bio-Bergbraugerste von Gran Alpin ist eigentlich immer Sommergerste, da Wintergerste die harten und langen Winter in höheren Lagen nicht übersteht. Allerdings könnte sich das zu Zeiten der Klimaerwärmung in nächster Zeit auch ändern, gell. Da Berggetreide ab 1 000 Metern ü.M. eine nachweisbar höhere Vitalität entwickelt, hat sich Gran Alpin eigentlich entschieden, nur ab diesen Höhen anzubauen. Auf Wunsch der Brauerei Locher weicht Gran Alpin nun von diesem Dogma ab, womit nicht alle Mitglieder einverstanden sind. Letztes Jahr konnten – wie wir von der Gran Alpin-Jahresversammlung wissen – insgesamt 49 Tonnen Winterbraugerste eingefahren werden.

Chur liegt auf 593 m ü.M., der zum Plantahof gehörende Waldhof oberhalb der Stadt auf – schlecht und recht geschätzt – etwa 650 bis 700 Metern. Bezüglich Vegetation mache das oft schon einen eindrücklichen Unterschied, sagt Andreas Stricker. Das rund eine Hektare (genau: 95 Aren) grosse Braugerstenfeld erreiche ich mit Bahn und Bus gut. Obwohl ich bei der Haltestelle der Psychiatrischen Klinik den Verdacht hege, man habe mich auf den Holzweg geführt und wolle mich einliefern. Denn vom Hof ist vor lauter Baukränen weit und breit nichts zu sehen. Dem Bauchgefühl nach gehe ich die Strasse hoch. Der Passant, den ich nach dem Weg frage, will mich nach Landquart schicken, aber darauf falle ich nicht herein. Also weiter der Nase nach. Und wo ein güldnes Feld im allgemeinen Grün aufscheint, da wird es sein. Denn die Braugerste reift zuerst. Genauso war es denn auch.
Sogar der Chüngel geniesst die Mittagsruhe

Auf dem Hof ist nicht viel los, der Hofladen noch geschlossen. Mittagsruhe. Ich Depp habe vergessen, ein Sandwich zu kaufen, das ich jetzt am Waldrand friedlich verzehren könnte. Durch die Tür erkenne ich Kartonschalen mit gluschtig grossen, dunklen Chriesi. Ich nehme mir vor, nachher ein Kistchen zu kaufen. Und merke dann schon, als Andreas Stricker auf dem Feld oben sagt, die Leute wüssten, wann es Kirschen gibt, sie seien sehr beliebt, dass ich diesen Plan wohl vergessen kann. Auch das war genauso.

Unter dem Nussbaum picken glückliche Hühner in den Boden. Im Freilaufgehege hat sich ein Chüngel lang gemacht und blinzelt mir mittagsschläfrig uninteressiert zu. Irgendwie liegt er auf dem Bauch, als würde er ein Buch lesen. Aber ein Buch ist keines da.

Das Dreschen läuft wie am Schnürchen. Bis auf einen Riemen.

Kurz nach 13 Uhr stehe ich am Rand des Feldes, wo nacheinander zwei Traktoren auffahren, einer zum Mähen der neben dem Braugerstenfeld liegenden Wiese, der andere mit Anhänger für die Ernte. Alles läuft wie am Schnürchen. Fast, jedenfalls.

Nacheinander lerne ich auch die Beteiligten kennen, als da sind: Andreas Stricker, Betriebsleiter des Plantahofs und die Lehrtochter, die im Drescher zwei Runden mitdreht, um dann zum Mähen der Wiese überzugehen. Daniel Leston, der Drescherfahrer, dessen Name nicht nur englisch klinge, sondern auch aus dem Englischen komme, der aber original Bündnerdialekt spricht, und Sohn Laurin, der sieben Jahre jung ist und mittwochs schulfrei hat; wenn er kann, ist er immer dabei, wenn der Vater mit den grossen Maschinen fuhrwerkt. Er hat das quasi im Blut. Mehr zu Leston. Lohnarbeiten – Freibergerzucht, gibts hier: leston.ch.

Der Drescher ist eindeutig moderner und mit seinem 6-Meter-Balken auch grösser, als diejenigen in den Gebirgslagen. Er verfügt auch nicht über die Geländeausgleichfähigkeit seiner steilhangtauglichen Artgenossen. Der Waldhof sei sein einziger Bio-Kunde, sagt Daniel Leston.

Was wäre eine Landwirtschaft ohne Land? Nur noch Wirtschaft? Hors-sol-Wirtschaft.
Ich unterhalte mich mit Andreas Stricker auf dem gedreschten Teil des Feldes. Über die Trockenheit, die auch hier herrscht. Im steintrockenen Bachbett fliesst nicht mal ein spärliches Rinnsal. Darüber, dass ich mich weigere, Bio- und Demeter-Früchte aus Spaniens Mar del Plástico zu kaufen, dem weltgrössten Anbaugebiet unter Plastikfolie, wo das Grundwasser seit Jahren total gaga übernutzt wird. Über die riesigen Getreidefelder in der Ukraine, wo sechs grosse Mähdrescher nebeneinander herfahren. Dagegen sind auch die grössten Schweizer Felder winzig. Andreas Stricker schätzt die heurige Ernte aufgrund der ersten Leerung auf rund 7 Tonnen. Wenn der Wagen bis oben voll ist, fasse er rund 10 Tonnen. Wir werden sehen, wieviel am Ende rauskommt; die Auflösung findet ihr am Schluss dieses Beitrags.

Obwohl das alles im Vergleich mit der weltweiten Getreideproduktion ein Körnchen auf den heissen Boden ist, sehe ich in dieser bodenschonenden, humusbildenden Landwirtschaft mehr Zukunft und Lebensintensität, als in der sogenannten Intensiv-Bewirtschaftung einer intensiv zu Boden gewirtschafteten Monokultur-Wüstenlandschaft ohne Artenvielfalt in Flora und Fauna. Ohne Insekten und Vögel. Dass die einfache Rechnung nicht in die Hirnis geht: Sind keine Insekten und Vögel mehr da, gibts uns auch nicht mehr lange. Zudem wird es auch in der Schweiz Zeit, mit dem Wasser gewitzter umzugehen. Wassermanagement, sagt man heutzutage, wo alles gemanagt wird, was irgendwie gemanagt werden kann.
Immer noch werden weit über 90 Prozent der in der Schweiz verarbeiteten 75 000 Tonnen Braugerste importiert, mangels Mälzereien – auch die neue Mälzerei Wildegg im Kanton Aargau kann im Jahr nur rund 1 500 Tonnen vermälzen – in gemälzter Form. Laut bier.swiss beziehen die Schweizer Brauereien das Braumalz hauptsächlich aus Frankreich und Deutschland. Die Anbaumengen von Schweizerischer Braugerste sind also noch immer sehr gering. Bio sowieso. Zudem koste Schweizer Malz derzeit rund dreimal mehr als das importierte, finde aber aufgrund der lokalen Produktion durchaus Wertschätzung und Absatz. Gran Alpin erntete 2022 insgesamt 175,5 Tonnen Bio-Sommerbergbraugerste und die obgenannten 49 Tonnen Bio-Winterbraugerste, macht total 224,5 Tonnen Bio-Braugerste. Klein, aber oho.
Beim Guguselen nach dem weltweiten Braugerstenanbau finde ich nur Gerste allgemein (Brau-, Speise- und Futtergerste); die weniger Eiweiss enthaltende Braugerste wird nicht separat aufgeführt. Destatis, Statistisches Bundesamt Deutschland 2021: Bei der Ernte von Gerste haben die Russische Föderation und die Ukraine mit 27,4 Millionen Tonnen zusammen einen Anteil von knapp 19 % an der globalen Erntemenge. Weltweit wurden 2021 rund 145,6 Millionen Tonnen Gerste geerntet. Was für Mengen, Wahnsinn! Neben den beiden aufgeführten Ländern gehören Australien (14,6 Mio. Tonnen), Frankreich (11,3 Mio. Tonnen) und Deutschland (10,4 Mio. Tonnen) zu den fünf grössten Gerstenproduzenten.
Diese schwindelerregenden Mengen können nur dank Kunstdünger und Pestiziden erreicht werden, was mich zur weiter in die Sackgasse führenden Überlegung bringt, dass das alles entweder krass schiefgeht oder darauf hinausläuft, dass irgendwann erdfreie, superklimatisierte, nicht nur Grünstrom fressende Hors-sol-Hochhäuser mit Nährlösungen die Felder ersetzen werden. Ich finde noch keine Beispiele für Hors-sol-Getreide-Anlagen, aber bei Gemüse und wasserballonartigen Tomaten, die Monate lang prall bleiben, wissen wirs. Da das Hors-sol-Gemüse nicht mehr gekennzeichnet werden muss, isst man wohl mehr davon, als einem lieb ist. Bei Bio Suisse ist Hors-sol grundsätzlich nicht erlaubt, mit wenigen Ausnahmen: Bio-Gemüse wächst auf echtem Boden, sowohl im In- wie im Ausland. Bio Suisse kennt die bodenferne Produktion nur dort, wo sie naturgemäss ist: bei den Pilzen, den Jungpflanzen und Topfkräutern.
Es scheint aber doch so, dass wir mehr und mehr den Boden unter den Füssen verlieren, sei es nun durch Zubetonieren und Teeren für all die nach alten Mobilitäts-Massstäben die Welt flutenden E-Autos, das Bauwesen oder die Lebensmittelproduktion. Zur ganzjährigen Produktion von Hors-sol-Tomaten im Gewächshaus verlautbart Agroscope im April 23, dass sie sehr energieaufwendig wäre: In der Schweiz beginnt Hors-Sol-Tomatenkultur im Gewächshaus derzeit im Januar mit der Anzucht und endet im November mit der letzten Ernte. Was für eine gspässige «Saison»! In Nordeuropa können Tomatenkulturen zeitversetzt angebaut werden, mit einer Pflanzung im Spätsommer (September) und einer letzten Ernte im Sommer des folgenden Kalenderjahres (August). Eine zeitversetzte Produktion würde es ermöglichen, den Bedarf des Marktes während des gesamten Jahres zu decken. Der Energieaufwand für einen zeitversetzten Tomatenanbau im Gewächshaus wäre doppelt so hoch wie bei der herkömmlichen Produktion, ohne dass der Ertrag wesentlich höher ausfällt. Die herkömmliche Produktion könnte jedoch von einer LED-Beleuchtung profitieren.
Sogar die Sonne wird für den Ikarus-Highflyer homo sapiens mehr und mehr ersetzbar. Vermutlich strahlt sie darum mit ihm hochschutzfaktorig um die Wette, gell. Wobei, beim zukunftssichernden Solarstrom brauchen wir sie doch noch, ausser, wir finden einen Weg, diese mit aus sich selbst heraus strahlenden Perpetuum mobile-LED-Sonnen-Surrogat win-win-genial auszutricksen. Nobelpreisverdächtig, Alte, nobelpreisverdächtig! Und, fällt mir grad ein, Alte, mal noch nebenbei gefragt, auf welchem Mist soll eigentlich VEGAN wachsen, wenns keinen Mist mehr gibt? Liegt die Lösung wirklich in sterilen Nähr-Lösungen?
Grossklotzvision in schillernden Lösungsmitteln
2009 beschrieb die NZZ die flächenoptimierten Landwirtschaftsvisionen für Grossstädte wie New York des amerikanischen Forschers und Professors für Umwelthygiene Dick Despommier unter dem Titel Tomaten aus dem Wolkenkratzer. Immer müssen diese armen Wassersacktomaten ihre knütschroten Wangen herhalten! Es beginnt mit kitschiger Zukunfts-Liftmusik: Eindunkeln im herbstlichen New York. Die Büros und Wohnungen der Wolkenkratzer leuchten in die Nacht. Doch unter das übliche Gelb und Weiss mischt sich ein grünes Glimmen. Es stammt von Plantagen, von vertikalen Farmen, die hundert Meter in den Himmel ragen. Eben noch suchten an dieser Ecke Manhattans Banker nach Auswegen aus der Krise. Nun züchtet man hier Tomaten, Zucchetti oder Weizen. Eine 30-stöckige Farm ernährt 50 000 New Yorker. Das ganze Jahr über, auch in den eisigen Wintern.
Es folgen Parolen und Geschichtspauschalen: Bringt die Bauern in die Stadt! Kippt die Landwirtschaft in die Vertikale! Nur so liessen sich in einer urbanisierten Welt genügend Nahrungsmittel produzieren. Denn nach Berechnungen der Uno stehen 2050 weltweit pro Mensch nur noch 1300 Quadratmeter Ackerfläche zur Verfügung; 1970 waren es noch 2000 Quadratmeter. Deshalb will Despommier mit 10 000 Jahren Menschheitsgeschichte brechen: Seit den ersten Stadtgründungen hat das Land die Bevölkerung ernährt. Nun sollen die Metropolen zu Selbstversorgern werden, getrieben vom Wunsch einer städtischen Elite nach lokal produzierter Nahrung.
Weiter gehts mit Realbezug: Die Anbautechniken erfordern ausgeklügelte Apparaturen zur Ernährung und Bewässerung der Pflanzen. Deshalb sind Hors-Sol- und Aeroponic-Kulturen bis heute kapitalintensiv. Und energieintensiv, gell! Ihr Anteil an der Gesamtanbaufläche ist entsprechend klein. Laut dem Schweizerischen Bauernverband wird hierzulande nur auf knapp 90 Hektaren Hors-Sol-Gemüse angebaut. 2018 waren es schon 160 Hektar; eine Fläche von rund 220 Fussballfeldern. Neuere Zahlen konnte ich bezüglich Hors-sol nicht finden. Zu Vergleich: 2022 betrug die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche in der Schweiz rund 1,04 Millionen Hektar. Noch immer werden pro Minute rund 30 Quadratmeter verbaut.
Auch die folgenden Zahlen für die Schweiz sind wohl massiv gewachsen: Dem gegenüber stehen 916 Hektaren «normale» Gewächshaus- und 13 000 Hektaren Freilandproduktion. Doch die Idee des «vertical farming» verfängt, nicht nur wegen der schicken Illustrationen: Sie befriedigt die menschliche Sehnsucht nach einfachen technischen Lösungen für Riesenprobleme. Alles könnte in den Türmen angebaut beziehungsweise gezüchtet werden: Gemüse, Getreide, Fisch, Geflügel, Shrimps oder Muscheln – nur keine vierbeinigen Tiere. Stimmt nicht, wie Quöllfrisch unterwegs-Leser:innen wissen: Hier gehts zum Quöllfrisch unterwegs-Beitrag «Alternative Proteine von Welt: brewbee – mal geschnetzelt, mal gehackt», in dem ein 26-stöckiges Hochhaus für Schweinemast in China vorkommt.
Argument Wassermanagement: Der Wasserverbrauch wäre um bis zu 95 Prozent tiefer als beim Anbau im Freien, verspricht Despommiers. Er stützt sich dabei auf Herstellerangaben und Erfahrungswerte aus dem Hors-Sol-Anbau. Bei diesem werden im Schnitt 80 Prozent Wasser gespart. Die Produktivität pro Quadratmeter würde deutlich gesteigert; bei Kopfsalat um den Faktor 15. Nun zum vorläufigen Fazit: Allen Rückschlägen zum Trotz: Im Kleinen haben vertikale Anbauweisen durchaus eine Chance. Führend ist dabei die amerikanische Firma Valcent. […] Von glitzernden Hochhaus-Bauernhöfen aber spricht bei Valcent niemand. Noch. Das war 2009.
Seither gehts immer noch klein weiter, natürlich mit lösungsgenährten Wachstumsabsichten. Am 24. Januar 2023 klopft sich Fenaco in einer Medienmitteilung anerkennend selber auf die Schulter: Vertical-Farming-Pilotanlage in Betrieb. Die Vertical-Farming-Pilotanlage von YASAI und fenaco hat den Betrieb aufgenommen. Die ersten Produkte sind ab heute in rund 80 ausgewählten Coop-Filialen erhältlich. Undeklariert, selbstvertürli! Und täglich grüsst das Murmeltier: Schöne neue Welt!
Kaum zu glauben, aber wohl wahr: Es heisst schon länger erschreckend einhellig, die intensiv genutzten Äcker seien praktisch Wüstenböden und sogar die einst so fruchtbare schwarze Erde der Ukraine sei derart ausgelaugt, dass sie ohne Agrarchemie nicht mehr viel hergebe; mit Sprühflugzeugen ausgebracht, unwohlverstanden. Hinzu kommen jetzt noch all die Minen und sonstigen Kriegsverheerungen.
Als Kollateralgeschenk dieser wohltätigen Intensivbewirtschaftung befinden wir uns ganz zufällig, fortschrittlich und nachhaltig mitten im 6. grossen Artensterben und haben wir alle inzwischen einen ordentlichen Gift-Cocktail im Körper, dessen gesundheitliche Auswirkungen niemand so richtig kennen will. Vom allgegenwärtigen Mikroplastik und seinen mirakulösen Auswirkungen ganz zu schweigen. Nur ein Gift von vielen, das sogar nach WHO wahrscheinlich krebserregende (!), schwer abbaubare Glyphosat, das jede Pflanze abtöte, die nicht genetisch speziell dagegen resistent gemacht wurde (wow, fast ein Perpetuum mobile!), wurde jedenfalls auch im Urin von Hardcore-Bio-Konsument:innen nachgewiesen. Und da gehört es definitiv nicht hin, egal, was uns Chemie-Lobby und Politik Gesundbetendes weismachen wollen.
Intermezzo und Buchtipp zum Zauberlehrling Mensch
Mitte des 20. Jahrhunderts schrumpfte der Halm des handelsüblichen Weizens fast um die halbe Länge, während sich die Zahl der Körner in der Ähre vervielfachte. Weizen zählte zu den biotechnisch Pflanzen, die während der sogenannten Grünen Revolution entwickelt wurden, um den Welthunger zu besiegen. Ihre phänomenalen Ernteerträge gaben Millionen, die sonst nichts zu essen gehabt hätten, Nahrung. So leisteten diese Pflanzen ihren Beitrag zum Bevölkerungswachstum in Ländern wie Indien und Mexiko. Man schuf sie durch verstärktes Kreuzen und Zufallsbeimischungen von Aminosäuren – Kunstgriffe, die dem Gen-Splicing vorangingen; der Erfolg und das Überleben dieser Pflanzen hingen von genau dosierten Cocktails aus Kunstdüngern, Herbiziden und Pestiziden ab. Schliesslich mussten die Laborgeschöpfe vor den Gefahren geschützt werden, die draussen, in der rauen Wirklichkeit, auf sie lauerten.
In einer Welt ohne Menschen wird keine dieser Pflanzen in freier Natur auch nur die vier Jahre überstehen, die sich der Weizen in der Broadbak-Wildnis hielt, nachdem Lawes und Gilbert sie den Elementen überlassen hatten. Einige sind sterile Hybriden, die Erträge anderer sind so geschädigt, dass die Farmer jedes Jahr neue Saat kaufen müssen – ein warmer Regen für die Saatzuchtbetriebe. Die Böden, auf denen diese Sorten eines Tages aussterben werden – und das sind heute die meisten Getreidefelder der Welt –, werden von Stickstoff und Schwefel extrem übersäuert sein und es bleiben, bis sich neues Erdreich gebildet hat. Es wird Jahrzehnte dauern, bis säuretolerante Bäume Wurzeln schlagen und wachsen, und dann werden noch Jahrhunderte vergehen, ehe Mikroorganismen, die sich durch die dürftige Hinterlassenschaftder Agraindustrie nicht vertreiben lassen, altes Laub und Holz zersetzt und als Humus ausgeschieden haben.
Unter diesen Böden, gelegentlich auch von ehrgeizigen Wurzeln an die Oberfläche geholt, liegen die in drei Jahrhunderten zusammengetragenen Schwermetalle und eine Buchstabensuppe von POPs, Substanzen, die wahrhaft neu unter der Sonne und der Erde sind. Einige gezielt entwickelte Verbindungen wie die PAKs, die zu schwer sind, um in die Arktis geweht zu werden, enden unter Umständen molekular gebunden in Böden, die zu hart sind, als dass zersetzende Mikroorganismen eindringen könnten. So bleiben diese Stoffe auf ewig dort.
Alan Weisman: Die Welt ohne uns. Reise über ein unbevölkerte Erde. Piper Verlag, München 2007
Ein Riemenschaden im Getriebe.
Auffällige Stille bringt uns zurück auf den Bio-Acker. Das rhythmische Dreschgeräusch hat ausgesetzt und wir sehen, dass der Drescher stehengeblieben ist. Anderthalb Reihen vor Schluss. Riemenschaden.

Daniel Leston vermutet, dass er am Vortag beschädigt wurde, weil zu feuchtes Stroh alles verklebte. Auch hier beim perfekt reifen Feld sei das Stroh unten natürlich noch etwas feucht. Zum Glück hat er einen Ersatzriemen dabei. Aber er brauche eine Leiter. Daniel Stricker geht los, eine zu holen, während Daniel Leston schon mal mit der Reparatur beginnt. Auf der Führerkabinenseite sitzt Laurin seelenruhig auf dem Drescher und lacht. Wird schon weitergehen.


Als die Leiter auf Strickers Beinen ankommt, ist der neue Riemen schon fast montiert. Immerhin kann Leston nun bequem seinen Spagat beenden und herabsteigen. Weiter gehts, während Andreas Stricker die Leiter zurückbringt.

Ernte gut, alles gut.



So, nun haben wir auch die definitive Menge, die Andreas Stricker gleichentags um 17 Uhr in die Getreidesammelstelle Landquart bringen konnte:

6258 Kilogramm, bei einer Feuchtigkeit 13.1%.
