Quöllfrisch unterwegs im Val Lumnezia
Die Bio-Bergbraugerstenernte bei Renzo Blumenthal in Vella GR ist angesagt. Natürlich bei Traumwetter. Mit Quölli, Eseln und Drohne.

Schon wieder schreiben wir Mitte September. In der Nacht erhellte der leicht angesäbelte Nachvollmondkäse mein Schlafzimmer. Schon wieder fahre ich ins Val Lumnezia und zwar in den allerschönsten Farben eines lichtechten, aber vergänglichen Hodlers. Die Natur malt den Sonnenaufgang am Zürichsee klar grossartiger als der Schweizer Altmeister. Und schon wieder wird Flurin Zinsli als Drescherfahrer die Hauptrolle verkörpern. Aber da ist noch einer, der schon mehrmals in unserem Blog und weniger berühmten Postillen vorkam: Es ist die Bio-Bergbraugerste von Ex-Mister Schweiz Renzo Blumenthal, die gedroschen wird.

Quölli musste ich im Zug neben einem riesigen Mountainbike in eine für beide Räder viel zu kleine Nische mit einem viel zu kleinen Haken hängstellen. Der Gang wird dadurch nur noch schwer passierbar. Nein, die SBB hat den vielbeworbenen barrierefreien Bike-Transport nicht gelöst. Aber man soll nicht jammern, bisher bin ich immer durchgekomen. Und natürlich habe ich wieder mal was vergessen: Papier und Stift, unerlässlich auch in digitaldementen Zeiten.

Am Bahnhofkiosk in Ilanz gibts zwar die guten Caran d’Ache Kugelschreiber, leider aus Plastik, aber kein Papier. Die freundliche Kioskfrau verweist mich auf die gleich gegenüberliegende Migros, wo ich ein plastikverschweisstes Doppelpack Notizbüchlein kaufe. Schon verrückt, was der Mensch mit dem mittlerweilen schon wieder lästigen Wundermaterial Plastik so alles anstellt. In Tschlin wussten die Biobauern nicht einmal, dass es bei uns im Tal unten schon länger in Plastik eingeschweisste Demeter-Gurken aus Spanien zu kaufen gibt. Absurd, wenn man darüber nachdenkt. Also schnell wieder auf Quölli gehüpft und schwupp-di-wupp den Rhätisch Kongo hoch ins Val Lumnezia gestrampelt. Vorbei an zwei am Strassenrand weidenden Eseln und Flurin Zinslis Wohnhaus und Hof in Cumbel nach Vella, wo neben dem Fussballfeld der Mähdrescher wartet. Um 11.15 Uhr solls losgehen. Es wird über Mittag gedroschen werden.

Schon vor 10 Uhr bin ich da. Kaum schwinge ich mich hinter dem Drescher aus dem Sattel fährt auch schon ein Traktor mit Anhänger heran, in dem Renzo himself sitzt: «Bist du heute hier für Appenzeller Bier?» Er habe doch mit einem Filip geredet. Aha, das muss derjenige sein, der einen – wie es hiess — «professionellen» Film dreht. Wohl eine Anspielung auf meine Wackelfilme, hä. Hm, wenn ihr mir Hollywoodgagen bezahlt, kann ich schon anders, im Fall. Renzo hat noch einen Viehtransport zu erledigen und fährt die Serpentinen hoch, um die Tiere zu holen. Eine weitere Begegnung haben wir dann, als er mit gefülltem Viehanhänger wieder runterkommt, während ich ein Foto von oben zu machen gedenke und auf unverschämte Tatsachen stosse. Aber zuerst einmal: Das Feld sieht gut aus, ein bisschen mehr Un-, äh!, Beikraut als bei Flurin Zinsli in Cumbel. «Liegt aber voll im Rahmen», meint Flurin später dazu. Auch die Feuchtigkeit dürfte passen, also unter 14% sein, allerdings gibt es schon einiges mehr an Un-, äh!, Beikraut.



Ah, und da güxlet auch der kappenfreie Dreitausender Piz Terri hervor, der durch die Entfernung natürlich kleiner wirkt als alle näher liegenden Gipfel. Das Wetter wird also vorläufig stabil bleiben. Diesmal kommt er mir als alter Bekannter gut vor die Linse, während ich ja letztes Mal den falschen Gipfel als Piz Terri ausgegeben habe. Ich mache ein paar Fotos und schwinge mich auf Quölli, um von weiter oben noch einige Schnappschüsse zu machen. Dort flattert eine Bündner Fahne im Wind. Aber hallo, was ist das denn?

Der Bündner Wappenbock – nomen est omen – verfügt nicht nur über ein chillischotenrotes Spitzschnäbi (s. zum Vergleich: Bier, Bär & Dibischnäbi), sondern gar über Eier. He’s got balls, wies im Film immer so schön heisst. Um mich meiner weltbewegenden Männlichkeits-Erkenntnis zu vergewissern, will ich die Windfahne genauer betrachten. Da fällt sie in sich zusammen, als wollte eine geheime Macht meine Forschungsarbeit zensieren und das stolze Steinbockgemächt feigenblattmässig verdecken. Die Sonne blendet, die Flaute hält an. Ich erwische aber doch noch ein entlarvendes Schnappschüsschen. Allerdings ist das alles dann in der offiziellen Version – auf gr.ch beispielsweise – designerisch etwas verklärt und das Schnäbi bleibt in der Blasonierung gar unerwähnt:

Hier die Bilder von oben:


Vor dem Dreschen wechselt Flurin noch einen abgebrochenen Zahn am Dreschbalken aus. Inzwischen ist Renzo eingetroffen. Der von ihm erwähnte Fotograf & Filmer Filip Stropek wird also heute Aufnahmen machen für einen Werbespot. So fliegt denn, während Flurin im Mähdrescher seine Spuren zieht, zeitweise auch eine Drohne übers Geschehen. Nach den rund 60 Aren folgt noch ein weiteres Feld mit rund 40 Aren. «Zwei kleine Felder geben auch ein grosses», meint Renzo, als ich mein Erstaunen bekunde. Denn erstmals habe ich die mit 128 GB sackriesige Speicherkarte filmisch gefüllt, während die sonst so schnell leeren Batterien noch genug Saft enthalten. Jetzt gibts also noch ein zweites Feld! Tja, für ein paar Fotos hats dann doch noch gereicht. Aber hier erst mal der Ernte-Film inkl. Drohnenflug beim ersten Braugerstenfeld:








Die oberen 60 Aren ergeben klar weniger Bio-Bergbraugerste als letzte Woche bei Flurin Zinsli in Cumbel. Renzo ist denn auch ein wenig enttäuscht über die eineinhalb Säcke. Er schätzt sie auf 800 Kilogramm. Aber er nimmts, wies kommt. Gibt ja doch ein paar Flaschen Renzo-Bier; davon produziere er bzw. die Brauerei Locher rund 20’000 Flaschen à 33 cl im Jahr. Und das kleinere Zweitfeld kommt ja noch dazu.

Flurin steuert den Drescher hinunter zum noch zu dreschenden Weizenfeld, während ich mich auf dem Parkplatz noch mit Renzo und Filip über Geisterhäuser in Japan und Geisterhäuser in Vella unterhalte. Dann verabschieden wir uns und ich versuche mit einem nur noch zur Hälfte geladenen Quölli mittels der Rekuperierfunktion (Energierückgewinnung beim Abwärtsfahren) so weit wie möglich den Rätisch Kongo hinunter nach Ilanz und Richtung Chur zu pedalen.

Als hätten die erwähnten Hausgeister mal Frischluft schnuppern wollen und mich begleitet, beginnt Quölli praktisch an der gleichen Stelle wie letztes Mal – also, wo der Blick hinunter in die Rheinschlucht am Schönsten ist – zu rattern, knattern, schütteln, stottern und rütteln, dass es keine Freude mehr ist. Fahren geht nur noch streng. Fluchen rettet die Situation nicht, die Batterieladung nimmt rapide ab, also suche ich den nächsten Bahnhof mit dem wohlklingenden Namen Bonaduz auf und rette mich per ÖV in die grösste Bündner Enklave, sprich: Zürich. Bei Stromvelo.ch heissts dann, das sei ein bekanntes Phänomen bei dieser Stromergeneration: Ein Kabel im Motor mit Wackelkontakt, um es auf Garantie auswechseln zu können, müsse er das halbe Velo zerlegen. Armes Quölli! Aber nun läuft und schnurrt Quölli wieder wie fabrikneu. Jedenfalls bis zum nächsten Versuch, von Ilanz nach Chur zu kommen.
